«Morso» ist eine neue Seite im Liederbuch von Dimitris Mystakidis, denn der Gitarrist und Sänger interpretiert erstmals eigene Lieder.
Es ist nicht so, dass Dimitris Mystakidis bisher keine Musik geschrieben hätte. Nur hat er sich vor allem Inspiration aus der reichhaltigen, erweiterten Rembetiko-Sammlung geholt, hat umgeschrieben, hat umgedeutet, neu arrangiert. Was man eben so macht, wenn man mit der Tradition arbeitet. Hier ist alles anders: sieben Songs hat er selber komponiert, fünf davon auch selber getextet, vieles selber eingespielt: Bass, Gitarre, Baglama, Electronics – denn wir hatten ja Pandemie.
Wer, wie ich, kein Griechisch kann, hört erst mal ein Rembetiko-Album voller Trauer und Sehnsucht. Dann habe ich mich via YouTube und DeepL daran gemacht, die Texte zu finden und zu übersetzen, und stellte fest: das Album ist eine Anklage, ein Hadern mit der Gesellschaft, den Ungerechtigkeiten, ein Leiden am Zustand dieser Welt. In «Apo Mikri» singt Martha Frintzila
Ich dachte immer: „Ich mache etwas falsch“.
Das wurde mir von klein auf beigebracht.Die Nachbarn zogen die Fensterläden
damit sie den Zorn ihres Vaters nicht zu spüren bekämen
als meine Mutter von einem Betrunkenen verprügelt wurde
So erinnere ich mich an mein Leben als KindUnd bevor mein Körper Zeit hatte
Die Süße der Liebe zu schmecken
Ein Tyrann versuchte, sie zu zerreißen
Was von der Reinheit meiner Kindheit übrig war
Dieses Lied hat einen realen Bezug: es geht um den Prozess einer jungen Frau aus dem Jahr 2017, welche ihren Vergewaltiger getötet hatte. Man verweigerte ihr die Selbstverteidigung und verurteilte sie zu 15 Jahren Haft. Selbstverteidigung wertet das griechische Gesetz nur, wenn es um Ware, um Eigentum geht.
In «Moirasma» singt die zweite Gastsängerin, Eleni Vitali:
Schau mir in die Augen, schau mir in die Augen, sag mir, wie es wahr sein kann
All dieses Elend kann ein Mensch ertragenWenn du deinen Kummer teilst, wird der Kummer halbiert
Und die Freude, wenn sie Gesellschaft findet, wird zur doppelten Freude.
Die vier Songs, die Mystakidis nicht selber geschrieben hat, stammen von Alexandros Emmanouilidis. Der lässt in «Monologos Theou» selbst Gott hadern. Der ist gerade wieder mal daran, Menschen aus Lehm zu formen und seufzt:
Egal, was ich tue, ich kann keinen Mann ohne Fehler machen.
Um nicht ganz in den Anklagen und der Trauer zu versinken, erlaubt sich Mystakidis einen zynischen Aufheller zum Schluss des Albums:
So viel Freude, dass ich eine Therapie beginnen werde
Ich schätze, ich bin derjenige, der alles falsch verstanden hat.
Ist schon gut, ich mache jetzt Yoga
Und ich werde regelmäßig in die Berge fahren
«Morso» ist wahrlich kein Friede-Freude-Eierkuchen Album. Es rüttelt auf. Schaut man nur auf die Texte, so ist es ein schwermütiges, ein himmeltrauriges Werk. Zum Glück gibt es da noch die Musik, welche diese schwarzen Bilder transportiert, und aufhellt. Sie balanciert die Songs aus.
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