Das tönt nach Fussballturnier, und wir sind doch an einem Musikanlass, oder? Klar – nur ist das Festival Petronio Alvarez eben nicht nur Festival, sondern auch Wettbewerb. Und mehr.
Es war mir bisher nicht ganz klar, wie Festival und Wettbewerb zusammenpassen. Hat man’s dann mal gesehen und gehört, macht alles plötzlich Sinn. Doch zuerst zu den Umständen: der Wettbewerb findet Openair statt und nicht im Coliseo – was für eine Wohltat für die Ohren! Und jetzt geht’s eigentlich erst richtig los mit dem Festival.
Zum Wettbewerb: Die Bands, die sich hier präsentieren können, wurden in regionalen Vorauswahlen ermittelt – keine gnadenlose Casting-Show, sondern mit klaren Vorgaben. Die wichtigste davon: Die Tradition der jeweiligen Instrumentierung und der Herkunft muss tragend sein. Bewertet wird in vier Genres: Conjunto Violin Caucano, Conjunto Marimba Y Cantos Tradicionales, Conjunto Chirima und Agrupación Libre.
Die vier Kategorien
Kurz zu den Genres: Die Geige wurde von den Spaniern ins Land gebracht, von der afrokolumbianischen Gemeinschaft, speziell in der Gegend von Cauca, im Südwesten des Landes, schnell adaptiert, sprich: stark rhythmisiert. Wer Spanisch versteht, kann sich hier auf YouTube eine kurze Geschichte zu den Conjunto Violin Caucano holen. Marimba Y Cantos Traditionales sagt eigentlich schon alles. Das Herz dieser Musik und der Marimba schlägt in Timbiqui oder Buenaventura.
Beim Conjunto Chirima legen Bläser (früher Flöten, heute meistens zwei Klarinetten und ein Baritonhorn) und wirblige Perkussion (Snare-Drum oder Timbales, Bass- und andere Trommeln) den Groove vor. Wenn’s dann wirklich über die traditionellen Genregrenzen hinaus wuchert, z.B. Richtung Salsa oder Hip Hop, heisst die Kategorie »Libre«.
In den Halbfinals treten jeweils vier oder fünf Gruppen pro Genre mit je einer Viertelstunde Spielzeit gegeneinander an. Damit das Ganze organisatorisch funktioniert ist eine Drehbühne im Einsatz. Eine Jury aus Musikern und Musikethnologinnen bewertet die Auftritte.
Einen solchen Wettbewerb zu gewinnen ist für die Musiker eine wichtige Visitenkarte, eröffnet Konzertmöglichkeiten, Touren im eigenen Land oder gar eine internationale Karriere. Beste Beispiele: Herencia de Timpiqui oder ChocQuibTown.
Die Zuschauer strömen in Scharen, denn das Petronio Alvarez ist nicht nur Festival, sondern auch die grösste Verpflegungs- und Getränke-Strecke die ich bisher je erlebte. Da wirken die Angebote von Festivals wie dem Paleo in Nyon plötzlich etwas sehr übersichtlich. Seien wir fair: Das Paleo bietet die weltweite Varietät in Sachen Essen. Hier in Cali geht es um die regionalen und lokalsten Unterschiede. Man muss schon einen geschulten Gaumen haben, um die wirklichen Geschmacksunterschiede feststellen und werten zu können.
Das Publikum, das die Essensmeile hinter sich gelassen hat und vor der Bühne tanzt, ist ausgelassen, feiert seine Favoriten und singt mit. Hat teilweise auch damit zu tun, dass auf dem Festivalgelände kein Bier verkauft wird, sondern neben Wasser und Softdrinks nur diverse Varianten von gut-prozentigem Zuckerrohrschnaps.
Von wegen mitsingen: Die Bands, die hier auftreten, sind keine Newcomer, sondern gestandene Formationen. Man kennt ihre Songs aus dem Radio, aus dem TV. Die Call-Response-Strukturen der Lieder machen es Musikern und Publikum einfach, miteinander zu singen. Da gibt es keine Mitsing-Spielchen wie man sie von Weltmusik-Konzerten in Europa kennt. Das passiert einfach. Erfrischend, passend.
Und draussen vor dem Festivalgelände warten noch hunderte von Grills und Feuerstellen mit Maiskolben, Bier, Würsten, Früchten und und und. Es soll niemand nach Hause gehen müssen, ohne rundum gesättigt zu sein ….