Als Produzent muss man improvisieren können, Guts kann das. Statt in Havanna entstand dieses ausführliche Album (2 CDs, 3LPs) in Dakar. Gut so.
Die musikalischen Beziehungen von Westafrika in die Karibik, und insbesondere zu Kuba, wurden schon manchmal beschworen. Da war der grosse Erfolg von afrokubanischen Grooves von Africando, oder des Orchestra Baobab, welche die kubanischen Musikstile an ihre afrikanischen Wurzeln zurückbanden. Es gab die Projekte, die dann nicht zu Stande kamen und ganz andere Erfolge zeitigten: der Buena Vista Social Club – die Geschichte davon gibt’s hier. Oder wie dann die ursprüngliche Idee doch noch Realität wurde: Afrocubism.
Der französische Produzent Guts wollte diese harmonischen und rhythmischen Verwandtschaften auf seine, etwas zeitgemässere Art umsetzten. Mit dem Album «Philantropiques» hatte er hier bereits produktionstechnische Vorarbeit geleistet. Vorgesehen war der Produktionsstandort Kuba. Dass Guts seine Idee 2020 nicht in Havanna realisieren konnte, sondern nach Dakar ausweichen musste ist ein der Corona-Pandemie geschuldeter Umstand. Denn der Senegal kannte 2021 viel weniger restriktive Reiseeinschränkungen. Ein Glücksfall.
Eine groovende Milchstrasse
Man könnte diese Produktion auch mit Zahlen erklären: 17 Studiotage waren in Dakar gebucht, 17 Songs wurden eingespielt. Rund 50 Musiker*innen haben sich daran beteiligt. Aus Kuba dabei u.a. der Rap Star El Tipo Este, oder die Perkussionistin und Sängerin Brenda Navarette. Aus dem Senegal u.a. die Sänger Assane Mboup und Alpha Dieng, aus Frankreich Guts’ langjähriger Wegbegleiter Pat Kalla, Axel Matrod a.k.a. El Gato Negro, oder der vielseitige David Walters – ein Staraufgebot, ohne Starallüren. Es muss ein freundschaftliches Gewusel gewesen sein – eine Milchstrasse von musikalischen Stars: Estrellas.
Das Repertoire besteht zum Teil aus Klassikern – Guts bezeichnet sich ja selber als Groove-Digger. So der Tanzhit aus dem Benin «Il n’est jamais trop tard», im Original vom Orchestre Poly Rhythmo, ins heute übertragen u.a. von Cheikh Lô. Oder aus neuen Grooves, ausgerichtet auf die anwesenden Musiker*innen. Gesungen wird in Wolof, Spanisch, Kreol und Französisch. Es ist keine überbordende Groove-Show, die Guts hier abzieht. Sondern eine gelungene Mischung aus Tanznummern und Balladen, wie gemacht für die jetzt anstehenden Abende, wo die Gartenpartys aus meteorologischen Gründen innerhalb der eigenen vier Wänden stattfinden müssen.
Einige Songs gehen direkt ins Ohr resp. in die tänzelnden Beine. Andere wachsen einem erst beim zweiten oder dritten Durchlauf ans Herz, denn sie setzen bewusst auf unaufdringliche Leichtigkeit.
Rating:
Derlei Mega-Produktionen – 50 Musiker unter der Regie eines weissen Zappelphillipps – sind kurzfristig reizvoll.
Man muss sich bewusst sein, dass man live wahrscheinlich keine 50 Musikerinnen zu sehen bekommt. Allenfalls fünf und ein Laptop. So geschehen diesen Sommer bei „Havana Meets Kingston“.
Naja, wegen eines missratenen Produzenten-Auftritts gleich die ganze Gilde in die Pfanne hauen? Find ich etwas unfair. Zudem wird Guts wohl nicht mit dem ganzen Projekt auf einer Bühne stehen wollen. Jetzt, wo sowieso das Publikum Konzerte verschmäht…