Ein freundlicher Auftakt zum 29. Festival Les Suds, à Arles. Nach dem Wahlausgang in Frankreich – man lese die Tageszeitungen – war die Stimmung in Frankreich entspannter als noch am Wochenende. Wie gewohnt stellten die Verantwortlichen am Mittags Rendez Vous einige Künstler vor, die in den kommenden Tagen am Festival auftreten werden.
Zuerst der Geiger Mathieu Werchowski. Er wird eine Stunde später im Hof des Espace Van Gogh ein Solokonzert geben. Ein spannender Musiker, der erst via den Rock und die Gitarre wieder zu seinem Instrument, der Geige, zurückgefunden hat. Seine Domäne ist die freie Improvisation, sein Credo: Musik besteht in Zeit und Raum, ich modeliere diese mit Klängen.
Einen erfrischenden Kurzauftritt gab es von Kyma. Das Frauen-Quintett hat sich dem a capella Gesang verschrieben. Ihr Liederbuch reicht von der okzitanischen Heimat bis in die ottomanische Vergangenheit. Das Repertoir des Mittelmeers, frisch umgesetzt.
Auch Julen Achiary ist ein Reisender in Sachen Musik. Von den baskischen Bergdörfern aus reiste, forschte und sammelte er Melodien bis ins ferne Aserbaidschan. Mit seiner genreübergreifenden Band Haratago wird er seine Forschungsreisen am Mittwoch vorstellen.
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Ein Kontrastprogramm gab’s am Abend des 29. Festivals Les Suds, à Arles: Eine Zeitreise durch’s alte Okzitanien mit Laurent Cavalié und eine digital aufgebaute Tsunami-Welle aus Sardinien mit Daniela Pes.
Es gibt Gebäude, in denen die Zeit so lange wohnt, dass man sie riecht. Das «Musée Réattu» ist so eines. Selbst wenn draussen die Temperaturen über 30 Grad steigen, sind die Mauern kühl, alt, etwas muffig, und voller Geschichte.
Für Laurent Cavalié ein idealer Auftritts-Ort, denn seine Musik geht gerne weit zurück in der Geschichte. Cavalier ist ein Troubadour, etwas aus der Zeit gefallen und doch sehr präsent. Er ist ein Verfechter der okzitanischen Kultur. Er schreibt, produziert, singt, führt Regie – alles und immer mit der okzitanische Sprache im Zentrum. (Dazu gibt’s einen ganzen Podcast: Die okzitanische Sprache lebt in der Musik.) Heute gibt’s ein Solokonzert. Fullhouse. Das Eisengitter im Eingang wird geschlossen. Draussen sind etwa 50 Leute unglücklich, aber harren aus.
Laurent ist ein Bühnenmensch. Er hat das Gespür für Tempo, Dynamik. Ein bisschen Theatralik, vor allem aber die Rhythmik, in den Worten, im Instrumenten-Wechsel, wie er den Solo-Vortrag aufgebaut hat. Ein Sammelsurium von z.T. selbstgebauten Instrumenten, etwa die Kombination eines Berimbau mit einer Rahmentrommel. Aber auch archaische Rhythmusinstrumente, sogar ein Eselsgebiss. Es sind Instrumente mit denen er sich mehr rhythmisch begleitet als harmonisch. Denn das Hauptinstrument ist Cavaliers Stimme: ausholend, Raum greifend, manchmal schlicht und beschreibend, dann wieder voller Drama oder Witz.
Zwei Mal spielt er kurze Ausschnitte seiner Feldaufnahmen aus den Dörfern rund um Narbonne ein, machen hörbar wo seine Quellen und Lehrmeisterinnen zu finden sind. Eingefangene Melodien und Erzählungen, vorgetragen von älteren, manchmal etwas brüchigen Stimmen, aber voller Erinnerung und Witz. Laurent Cavalier, ein alter, beständiger Freund des Festivals, erhält tosenden Applaus.
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Ein ganz andere Klangwelt einen halbe Stunde später in Hof des Erzbischofspalast. Elektronik, Samples, Noise und digitales Gewisper. Daniela Pes baut mit ihren beiden Musikern Kompositionen aus Hooks und Layers. Nur selten, z.B. wenn die Musikerin zur Gitarre greift um eine erste Strophe zu singen, taucht aus der Klangwolke ein Lied auf. Der Sound des Konzerts besteht hauptsächlich aus grossen und weiten Stapeln von geschichteten Klangwolken. Layer um Layer wird aufgebaut, in der Mix-Konsole ständig in Wellenbewegungen gehalten.
Die Melodien sind selten liedartig, denn sie bestehen oft aus einzelnen Phrasen, Hooks, die z.T. live eingespielt, meist aber aus dem Rechner eingespeist werden. Die Sängerin und Komponistin kriecht zuweilen fast physisch in die Klangwolken hinein, die aus ihren Tasten und Drehreglern wuchern. Sie bewegt sich hinter ihrem ausgedehnten Maschinenpark, als müsste sie in einem Zaubertrank rühren.
Pathos und ein grosser Drang zur Hymne prägen das Set der jungen Frau aus Sardinien. Soundtracks für das Kino zwischen den Ohren. Es ist wie wenn eine imaginäre Kamera im Zeitlupentempo erst durch die Gassen einer kleinen Hafenstadt fahren würden. Ein Sprung auf ein Schiff, um dort immer Kielwasser das Sonnenlicht aufblitzen zu sehen.
Als wäre ihr die eigene Harmoniesuche selber etwas zu süss, schmeisst Daniela Pes zwei Mal einen zornigen Song ins Repertoire. Doch auch die anklagenden, harten Worte werden in den Stapeln der Klangspuren abgeschliffen, oder ertrinken in der Tonflut. In meinem Ohren ist die Welt dieser italienischen Musikerin irgendwo zwischen Björk, einer Joiksängerin und den epischen Träumen von Vangelis gewachsen.
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