Der dritte Festivaltag in Arles brachte Joropo mit einem Schuss Cumbia, eine meditative Stunde mit Stimme und Duduk, ein Power-Trio mit Trommeln, Pfeifen und Rap, und einen Chansonier mit Hang zum Reisen.
Zu Beginn des Konzerttages musste ich einmal mehr feststellen, dass ich wieder ein Konzert verpasst hatte. Jenes von Ignacio María Gómez, und der Art, wie er die Welt sieht und singt.
Ruhige Songs, die nach Afrika und Südamerika riechen. Begleitet vom Perkussionisten Ze Luis Nascimiento, der mit minimalsten Mitteln – Schellen, Triangel, Hände – viel Atmosphäre beisteuert.
Die musikalische Siesta bestritt die Sängerin Emmanuelle Troy. Sie ist eine Weit-Reisende, und bringt von ihren Abenteuern, bevorzugt entlang der Seidenstrasse, sowohl Instrumente, wie Lieder nach Europa zurück.
Vor der Stadtbühne auf der Place Voltaire hatte sich bereits eine grosse Schar Interessierter versammelt, als Aa’in (Spotify) die Bühne betraten.
Sie wurden von der stimmgewaltigen Sängerin Rebecca Roger Cruz und den vier virtuosen Instrumentalisten durch einen engen Slalom von Tanznummern, schwelgenden Balladen und Heimweh-schweren Liedern der Migranten aus Kolumbien und Venezuela geführt. Besonders herausstechend: Manuel Alejandro Rangel. So virtuos gespielte Maracas habe noch nie gehört.
Es wurde still im Hof des Erzbischofs, ganz still, als Sahar Mohammadi und Haïg Sarikouyoumdjian die Bühne betraten: Eine Stimme, eine Duduk. Es war so still beim Duduk-Intro, dass der Flügelschlag der Tauben wie ein lautes Geknatter wirkte.
Die klassischen, persischen Kompositionen leben nicht durch abwechslungsreiche Melodien, sondern durch die Interpretation der Vortragenden. Sahar nutzte gekonnt die Mikrotonalität dieser Liedform, um Leid, Sehnsucht und alle anderen Gefühle auszudrücken. Die Musik verlangt auch von den Zuhörern Konzentration. Das Publikum schaffte es, eine Zugabe zu erlangen. Sahar stimmte ein Wiegenlied an – ich nehme an, dass es eines war, denn es war viel melodiöser als die Klassiker, beruhigend und zuversichtlich.
Ein Kontrast-Abend stand im ausverkauften Amphitheater auf dem Programm: zuerst drei junge Frauen aus Bogota, Kolumbien: La Perla. Ich durfte sie schon in Porto an der WOMEX erleben. Dort mussten sie ein Fachpublikum in einem akustisch ziemlich ungünstigen Saal überzeugen, sie strengten sich an. Hier begeisterten sie das Publikum vom ersten Song weg und konnten unverkrampft aufspielen.
Ihr Mix aus dem Beat der Trommeln, Melodien aus dem kolumbianischen Liederbuch und Klartext zur aktuellen Situation in ihrer Heimat und in der ganzen Amazonas-Region trafen auf offene Ohren. Frenetischer Applaus. (Mehr dazu im World Music Special vom 16. Dezember 2021)
Der Poet und Chansonnier Bernhard Lavilliers war schon immer ein Reisender. Er brachte von all seinen Welt-Wanderungen Melodien, Gedichte und Grooves nach Hause. Oder wie er selbst bereits im zweiten Lied sang (frei übersetzt aus «Voyageur»): «Ich habe viele Reisen gemacht, die Reisen haben mich gemacht. Gleichzeitig Fährmann und Passant zu sein ist der Beruf, der mir gefällt».
Die Bühne war überladen mit Instrumenten – mindestens 20 Gitarren, drei oder vier Bässe, Cello, grosse Perkussion, Saxofone, Trompeten, etc. Aberes sind, neben Lavilliers, nur sechs Personen auf der Bühne: Alles Multiinstrumentalisten. Während Lavilliers nicht die Stilvielfalt seiner Produktionen auffächerte, sondern eher im Liederbuch seiner Laufbahn vor und zurück blätterte, passten die sechs Musiker jedem Lied ein passendes Klangkleid an.
Seine Lieder trägt der Chansonnier oft als poetischer Sprechgesang vor, streckenweise ganz ohne Melodie. Dazwischen wieder Refrains bei denen er weiss, dass «sein» Publikum gerne mitsingt. Lavilliers muss sein Publikum nicht mehr erobern, er ist bei ihnen, und hier in Arles, im Wohnzimmer der Erinnerungen.
Und draussen, vor den Schutzgittern des Amphitheaters, stehen noch rund hundert Lavilliers-Fans, die keine Tickets mehr ergattern konnten. Sie singen leise hier draussen mit, oder tanzen.
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