Eine Reise zum Horizont, haitianische Geschichten, ein virtuoses Cello, brasilianische Poesie und Hommage an eine weitere französische Chanson-Ikone – Tag 5 bei Les Suds à Arles.
Benjamin Minimum, der das Marseiller Duo Benzine auf dem Platz Voltaire vorstellte, wies explizit darauf hin, dass die beiden Musiker nur analoge Synthesizer einsetzen würden. So wurde die Reise zum Horizont begleitet von den bereits etwas archaisch klingenden Sinus und Sägezahn Soundwellen, den trockenen Drumsounds der ersten technischen Revolution. Eine rezitierte Geschichte setzt sich in die Klangwellen, eine Gitarre kommt dazu. Auch sie eher verträumt. Die Fahrt nimmt Tempo auf. Die beiden Musiker nennen ihren Sound Raï-Machine.
Die Lieder von Farid Belayat und Samir Mohellebi, Benzine, bleiben gerne auf dem Grundton stehen, holen sich Dynamik durch die unterschiedliche Dichte der Sounds aus den Maschinen, dem sporadischen Einsatz von Gitarre und Bass, und vertrauen auf die Kraft der Repetition. Es sind Reisegebete, Mantras, auf einer Fahrt, deren Ziel nicht ganz klar ist.
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Rufus Cappadocia und Sheila Anozier a.k.a. Tranpe liefern einen Strauss haitianischer Melodien und Geschichten mit ungewöhnlicher Begleitung: Cello, Stimme und minimalste Perkussion. Mehr braucht’s nichts. Wobei: die Spieltechnik von Rufus ist mehr als aussergewöhnlich. Zudem hat er seinem Instrument eine zusätzliche Saite im Bassbereich spendiert, und den Tonabnehmer eines Fender-Bass eingebaut. Ich habe noch keinen Cellisten gesehen, der eine so ausgewiesene Hammer-on und Pull-off Technik in seiner linken Hand hatte. Ungewöhnlich rhythmisch, treibend. (Er wird mir am nächsten Tag erklären, dass er die Technik der Spieltechnik der westafrikanischen Ngonis abgeschaut hat.) Wenn die linke Hand etwas ausruhen will übernimmt die rechte Hand die Rhythmusarbeit, dank einer sehr kontrollierten Schlagtechnik mit dem Bogen auf den Saiten.
Als Sheila dem Publikum zu verstehen gibt, man dürfe zu ihren Liedern durchaus auch tanzen, erhob sich männiglich und weibiglich und bewegte die Hüften zu den sanften Rhythmen. Die Arlesiennes und Arlesien sind gerne einbezogen, wenn etwas an ihrem Festival passiert, ob es nun um singen, klatschen oder eben tanzen geht.
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Im antiken Theater stand ein Abend der portugiesischen und französischen Dichter an. Das war zumindest bei Nicht-Portugiesisch-Sprachigen beim ersten Vortrag mit Arnaldo Antunes und Vitor Araujo ein Nachteil. Denn hier ist ein Wortdrechsler am Werk. Ich kann nur aus den Lautmalereien heraushören, wie um den Text gerungen wird, wie sich Inhalt und Klang der Worte ergänzen müssen, wie sich die Vokale um die die Noten beugen.
Es ist kein einfaches Unterfangen, ein stündiges Poesie-Programm ausschliesslich mit Stimme und Piano zu bestreiten. Ausser dass der Sänger ziemlich unvorhersehbare Bewegungen zu einer Art Stummfilm-Choreografie made by Monthy Python zusammenstickt, oder der Pianist sich fast in sein Instrument verkriecht, passiert nicht viel für’s Auge. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Worte. Es ist mucksmäuschenstill auf den Rängen des Theaters. Die Musik findet in den Worten statt, doch ich versteh’ die Sprache nicht. Damit entgeht mir mehr als die Hälfte des Konzerts.
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Dann schlägt in Arles nochmals das grosse Chansonherz. Ein Konzert zu Ehren von Claude Nougaro. Ein grosser Komponist und Sänger zwischen Jazz und Chanson. Harmonisch in Europa zuhause, rhythmisch aber sowohl in Afrika wie in Südamerika, vor allem Brasilien, auf Reisen. Er ist im deutschsprachigen Raum wohl nicht so bekannt wie z.B. Dalida (siehe Bericht von vorgestern), ein Jacques Brel oder ein Charles Aznavour, vielleicht weil er viel jazziger komponierte, und weltoffener textete.
Die meisten Lieder Nougaros sind nicht in meiner Klang-Erinnerung. Wären da nicht doch noch zwei Melodien gegen Ende des Konzertes, die es über den Jura geschafft haben: Tu verras (YouTube). Und gleich darauf noch Armstrong (YouTube).
Wie ich dank dieses Konzerts einen neuen Komponisten kennen lerne, entdecke ich ebenfalls ein paar grandiose Stimmen. Denn sieben Sängerinnen und Sänger interpretieren als Solisten, im Duett oder im Trio die Chansons von Claude Nougaro. Zwei davon kannte ich: Souad Massi und Ray Lema. Neu waren für mich Sanseverino, Omicil Jowee oder ein herausragender Thomas de Pourquery, der auch als Saxophonist glänzte. Alle begleitet von einer Big Band mit hörbarer Liebe zu den Kompositionen von Nougar. Ich habe mit der Musik dieses Sänger, Komponisten, Kosmopoliten einen neuen Planeten in meiner musikalischen Galaxie entdeckt.
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Auch die neue Nacht-Bühne im Hof des Erzbischof-Palastes hatte ein passendes, klingendes Aushängeschild: Fleuve. Die drei Bretonen spielen in einer auf den ersten Blick nicht wirklich innovativen Besetzung: Piano, Bass und diverse Saxophone. Tönt nach Jazz, stimmt aber nur zu 15%. Die anderen 85% machen’s aus: der 5-saitige Bass pumpt in melodischen Melodieschlaufen, das Piano legt breite, weite Soundlandschaften, und darüber fliegt das Saxophon, mal als Sopran-, Alto- oder Bass-Instrument.
Es ist Dancefloor meets Ambient, ohne den schläfrigen Aspekt, sondern ausgerichtet auf tanzfreudige Nachtgänger. Vielleicht der Tatsache geschuldet, dass es an diesem Festival viele Tanz-Workshops gab, waren die Tanzschuhe schnell ausgepackt. Vor allem die Jugend bewegte sich in langen Schlagen durch den Hof. Ausgelassene Stimmung, lange Bar, tolles Ambiente.
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