Leyla McCalla – Breaking The Thermometer

Leyla McCalla – Breaking The ThermometerDie Songschreiberin Leyla McCalla nimmt uns mit auf eine weitere Etappe ihrer Suche nach ihren familiären und musikalischen Wurzeln.

Wäre es nur die familiäre Wurzel, die Sache wäre schnell erledigt. Ist Leyla McCalla doch die Tochter eines haitianischen Aktivisten-Ehepaars, das vor dem Duvalier-Regime nach New York flüchtete. Diese Tochter forscht als Musikerin seit mehreren Jahren immer intensiver nach ihrem kulturellen, haitianischen Erbe.

Dann trat 2019 die Duke Universität mit einem Vorschlag an sie heran. Die Uni hatte das Ton-Archiv von Radio Haiti übernommen. Jenem Radio, das als erstes, unabhängiges Medium in den Jahren der Diktatur durch die Familie Duvalier die Geschehnisse im Land journalistisch begleitete. Ganz wichtig: Das Radio sendete in kreolischer Sprache, die Sprache des Volkes. Nun wollte die Uni die Jahre der Diktatur und der anschliessenden Revolution, die Rolle des Radios und ihrer Gründer, Jean Dominique und Michèle Montas, in einem multidisziplinären Bühnenprojekt aufarbeiten. Daraus wurde «Breaking the Thermometer to Hide the Fever». Das ist die treffende Aussage: Zerbrich den Fiebermesser um nicht zu erkennen, wie hoch die Temperatur bereits ist.

Ein Projekt nährt das nächste

Die vorliegende Produktion von McCalla ist somit ein Zwilling, oder ein zweites Ergebnis aus ihrer Arbeit mit dem Radio-Archiv für das Theaterprojekt. Da sich die Songschreiberin seit jeher mit ihren kulturellen Erbe auseinandersetzt kommt es nun zu einer Songsammlung, die über das Theaterprojekt hinauswächst. Es geht ganz generell um Unterdrückung, um Demokratie, um Exil, aber auch um die Liebe, die es ermöglicht, alle Schwierigkeiten zu überstehen.

Die Arbeit mit dem Ton-Material hat dazu geführt, dass «Breaking The Thermometer» wie eine Collage daher kommt. Ausschnitte aus einem Interviews eines Ex-Gefangenen von Duvalls Foltergefängnis «Fort Dimanche», eingebettet in den gleichnamigen Song. Eine bittere Moderation von Jean Dominique zur Niederschlagung eines Aufstandes leitet über zu «Le Bal es Fini». Das einzige englisch gesungene Lied ist «You Don’t Know Me», eine Komposition von Caetano Veloso, der ja auch vor der Militärdiktatur in seiner Heimat Brasilien fliehen musste.

Im zweitletzten Lied, «Memory Song», dann die Frage: Wie viel Gewicht hat die Erinnerung? Kann dieses Lied auch gesungen werden, ohne gleichzeitig eine Last zu sein? Ja, kann. Denn McCalla schafft es, eine ganze Epoche in Liedern, in Geschichten lebendig werden zu lassen. Denn Geschichten, nicht Daten und Jahreszahlen, formen Geschichte.

Rating: ★★★★☆ 

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