Kräftige Stimmen aus Nordmazedonien, Irland, Italien oder Somaliland, und zunehmende Lautstärke – auch die Soundmischer haben nach drei Tagen etwas müde Ohren. Doch auch die Gitarrenhelden drehen ihre Verstärker immer weiter auf.
Erstaunlicherweise war es das kleinste Saiteninstrument, dem ich an diesem Abend begegnete, das für den grössten Schalldruck sorgte. Doch beginnen wir um 21.30h:
Zarina Prvasevdah
Zarina Prvasevdah brachte ihren Mix aus verwinkelten Arrangements und traditionellen Songs aus Nordmazedonien nach Manchester.
Die Sängerin geht noch heute mit dem Aufnahmegerät in die Dörfer, auf der Suche nach neuen/alten Liedern, auf den Spuren der Tradition. Doch sie verharrt nicht in der Tradition sondern erlaubt sich, die Lieder gründlich auf ihre Substanz abzuklopfen, sie in neue Arrangements zu kleiden.
Unterstützt wird sie dabei von einem Quintett mit Geige, Stehbass, Schlagzeug und Kanun. Sie übernehmen eher die Roots-Arbeit. Der Gitarrist Marko Lazoroski ist in dieser Formation so was wie ein klanglicher Satellit. Er ist dafür zuständig, die Songs an ihren Rändern melodisch etwas ausfransen zu lassen. Er überrascht gerne mal mit jazzigen Zwischentöne, oder führt die Melodie auch mal auf Abwege.
Manchmal wirkten die komplexen Rhythmen und Arrangements etwas bremsend auf die reine Spielfreude. Aber Zarina Prvasevdah fühlt sich in diesem Mix wohl, und sie tanzt lächelnd durch ihr Set.
Clare Sands
Ein kräftiger Auftritt von Clare Sands, in mehrfacher Hinsicht. Sie brachte ihre beiden Instrumente, die Bratsche und die Gitarre, und ihren Begleiter Conor Mallon, mit nach Manchester.
Die Betonung auf nur zwei Instrumente deshalb, weil Clare Sands auf mindestens zehn Instrumenten zuhause ist. Aufgewachsen in einer Familie im südirischen Cork, die sich auf sechs Generation von Violonisten berufen kann, und als Absolventin der Irish World Academy hat sie irgendwie «grünes» Blut in den Adern.
Doch das Ohrenfälligste an ihrem Auftritt ist ihre Stimme: Selbst an diesem, an Stimmen nicht armen Festival, überragt sie ihre Kolleginnen mit einer aussergewöhnlichen Powerstimme. Nahtlos zwischen den Stimmregistern wechselnd, furchtlos und überzeugend. Ich lese später auf ihrer Website, dass sie als Besitzerin eines schwarzen Gürtels auch eine Vertreterin von Irland bei den weltweiten Martial Arts Wettbewerben antritt, und zuhause einen gefüllten Medaillen-Schrank hat. Eben: furchtlos!
Das betrifft auch ihre Songthemen: es geht um Soziales, um den Aufruf zu mehr Solidarität und Pflege des Zwischenmenschlichen. Und sie vertritt vehement die Meinung, dass Musik ein geeignets Mittel ist, diese Veränderungen zu iniziieren. Ihr Begleiter Conor Mallon gilt als einer der führenden Interpreten der jüngeren Generation auf den Uillean Pipes, der irischen Version des Dudelsacks.
Es ist viel Irland im Auftritt der beiden. Aber auch viel Heute. Die Tradition ist ein guter Nährboden, und es wachsen immer wieder junge, frische, überzeugende Pflanzen.
Justin Adams und Mauro Durante
Die beiden sind seit knapp drei Jahren zwischen ihren vielseitigen musikalischen Aktivitäten auch als Duo unterwegs. Frisch im Gepäck des Sängers, Geigers und Tambourin-Virtuosen Durante und des Rock-Gitarristen Adams das zweite Album «Sweet Release».
Ihre musikalische Botschaft haben sie auch gleich in den Refrain des titelgebenden Songs verpackt:
These strings, this drum
From another world they come
Bringing messages of peace
And songs of sweet release.
Das mit der «anderen Welt» lassen wir mal ausser Acht, aber überzeugend sind die beiden. Hier der knochentrockene Riff-Akrobat Adams, seine rhythmusbetonte Spieltechnik hat sich u.a. als Sideman von Robert Plant bewährt. Dort der virtuose Geiger und Tamburello-Spieler, der eines seiner Tambourine mit einer sehr flexiblen Plastikmembran versehen hat. Diese Membran dehnt und drückt er mit einer virtuosen Technik: es klingt manchmal wie eine Tabla, und bringt Subbässe hervor, wie man sie sonst nur aus dem Rechner kennt. Tricks, die er mit seiner eigenen Band, den Canzoniere Grecanico Salentino, selten einsetzt.
Sie sind eingesungen, die beiden: Der Engländer ist eher mit einer brummligen Stimme unterwegs, der Italiener mit einer hohen Tenorstimme. Ihre aktuelle CD kommt frisch aus dem Brennwerk, die Songs aber sind während den letzten Wochen in vielen Konzerten geschliffen worden. Der einzige Nachteil des Auftritts von Justin Adams und Mauro Durante: die grosse Halle. Diese Songs kämen in einem Club besser zum tragen. Die Halle vernichtet die Nähe, welche diese Songs brauchen würden.
Ão
Es sind sphärische Songs, welche Ão aus Belgien hier in Manchester auf die Bühne bringen. Die Herkunft der Kompositionen kann im portugiesischen Fado verortet werden. Die Songs haben aber ihre Heimat schon längst verlassen.
Mitgenommen haben die Lieder von Brenda Corijn und ihrer drei Mitstreiter die Melancholie des Fado. Aber sie haben sich in einer Pop-Lounge niedergelassen. Viel Klang-Spielereien und Subbässe aus dem Synthesizer, eine Gitarre die zuweilen von Ferien in Spanien träumt, und eine zerbrechliche Stimme.
Die Musik von Ão klingt ziemlich konstruiert, die Melodien verhallten ohne Echo.
Sahra Halgan
Die Sängerin Sarah Halgan hat fast im Alleingang das kleine, international nicht anerkannte Somaliland auf die Weltkarte der Musik gesetzt. Heute lebt sie in Frankreich.
Mit ihrer dritten Produktion «Hiddo dhawr» (Spotify) wagt sich die Sängerin in rockige Gefilde. Das funktioniert in einigen Songs ganz gut. Doch Gitarrist Maël Saletes spielt zuweilen ein so breites Gitarrenbrett, dass sich die Sängerin wohl etwas überrollt fühlte. Um das Gleichgewicht zu halten erweiterte sie ihre Stimme mit einem sehr grossen, weiten Vibrato. Doch es wirkt auf die Dauer ermüdend, wenn die Melodie nicht mehr aus klaren Tönen besteht, sondern jeder Ton um fast einen Halbton nach unten und oben vibriert.
Weniger Powercords, ein paar Dezibel weniger aus den Verstärkern, etwas mehr schalltechnische Zurückhaltung, und die Sängerin hätte es etwas ruhiger angehen lassen können. So wurde aus «viel» mit der Zeit dann doch ein «zuviel».
N‘famady Kouyaté
N‘famady Kouyaté stammt aus der weitverzweigten Griot-Familie der Kouyaté aus Guinea. Sein Instrument ist nicht die Kora, sondern das Balafon.
Seit fünf Jahren ist die neue Heimat von N‘famady Kouyaté Cardiff in Wales. Doch er ist mittlerweile so gut integriert in den englischen Weltmusik-Kreisen, dass auch für ihn der Auftritt auf der Bühne der Albert Hall in Manchester einem Ritterschlag gleichkommt. Sein jugendlicher Enthusiasmus liess ihn auf der Bühne anfänglich beinahe mehr jubeln und tanzen als musizieren. Doch mit fortschreitendem Konzert legte sich die Aufregung, die Showeinlagen mit seinen Balafon-Schlägern wurden seltener, die Konzentration auf die Musik grösser.
N’famady spielt für die Tanzbeine, die Band in seinem Rücken pflegt einen soliden Funk-Pop. Die Melodien drehen sich allerdings sehr oft um den Grundakkord. Das wirkt auf die Dauer etwas zu haftend. Wenn er dann mal einen Klassiker aus dem Griot-Liederbuch ins Repertoire einfliessen lässt, wirkt das wie eine Erleichterung.
Buzz‘ Ayaz
Kleines Instrument, riesige Klangwolke. Antonis Antoniou, vielen auch als Frontmann von Monsieur Doumani bekannt, hat sich eine neue Tsouras gebaut, um seine neue Band Buzz’ Ayaz noch besser befeuern zu können. Eine psychedelische Rockshow war zu erwarten, ein volle Breitseite kam denn auch aus den Boxen.
Die Instrumentierung des Quartetts hatte es in sich: Neben der Tsouras von Antonis übernahm William Scott mit seiner Bassklarinette die tiefen Töne – elektronisch ins Breitleinwand-Format gebracht. Hinten wuchtete Ulash Oguch sein Schlagzeug, und wo noch Platz in dem Klangspektrum war, drückte Manos Stratis seine Keyboard-Sounds dazwischen.
Es waren zu viele Dezibel, welche die feineren Töne einfach übertünchten. Selbst die Staccato-Melodien von Antonis hatten es ganz schwer, sich durch diesen Klangsturm zu zwängen. Von Psychedelik bleib nicht mehr so viel übrig, Rock hatte die Oberhand gewonnen.
Man kann sich zuweilen auch selber austricksen. Doch ich sah auch glückliche Gesichter aus dem Konzertgewitter auftauchen. Jaako Laitinen z.B. strahlte: «Tolles Konzert». Er musst nicht mal mehr seine Haare aus dem Gesicht wischen. Die waren schon nach hinten gekämmt.
Adédèjì
Adédèjì aus Lagos, Nigeria, scheint zwei grosse musikalische Vorbilder zu haben: Fela Kuti und James Brown.
Er nennt zwar noch weitere Einflüsse wie King Sunny Ade oder George Benson als Vorbilder, aber wenn es um Auftritt und Struktur seiner Songs geht, ist der Afrobeat-Übervater Fela schon die bestimmende Grösse. Von James Brown hat er u.a. ein paar dirigierende Wortfetzen übernommen. Mehr als einmal hörte man ihn «Take me to the bridge» shouten, um den gewünschten Harmoniewechsel anzukündigen.
Die Band war in Spiellaune, für den Meister war Funk was Afrobeat, und es durfte sogar ein bisschen Glitzerdisco dabei sein. Die Freude an der Tanzparty war grösser als ausgeklügelt solierende, oder rhythmisch synkopierende Klang- und Grooveexperimente.
So ging zumindest auf den Bühnen die diesjährige WOMEX-Party zu Ende. Im O2-Ritz sollen die Plattenteller noch bis morgens um 04.30 gedreht haben….
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