Der Eröffnungsabend an jeder WOMEX gehört dem Kulturkreis des Gastgebers. Im Falle von Manchester waren es gleich mehrere.
Wenn die Einheimischen von ihrer Stadt sprechen, schwingt immer eine mächtige Portion Stolz mit, und eine erfrischende Gradlinigkeit. Der Bürgermeister Lord Mayor of the City of Manchester, Councillor Paul Andrews, einer der zahlreichen Eröffnungsredner, sprach denn auch von der Stadt der vielen „ersten Male“, z.B. ist Manchester die erste Stadt, die voll auf die Industrialisierung setzte.
Er klammerte aber dabei nicht aus, dass die Textilindustrie nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte es nicht auch vom nahe gelegenen Liverpool, der zentralen Stelle für den englischen Sklavenhandel, profitiert. Er sprach auch von den Streiks, die sich gegen die Ausbeutung vorab der schwarzen Arbeitenden richteten, und meinte „Black Lives Matter“ gab es in Manchester schon im 19. Jh. Doch dann ging’s in die Musik:
Dirty Freud
Eröffnet wurde der Abend von Dirty Freud, einem Quartett angeführt von Keyborder und Produzent Danni Sherritt. Sie zelebrierten einen Mix aus tiefen Bassgrooves, diversen Noise-Spuren und verwaschenen Beats.
Dazu spielte ein Saxophon Nordlichter in den Sound, eine Gitarre schredderte, wenn’s was zu betonen gab, und zupfte, wenn leise Perl-Töne angebracht waren. Über allem thront die Sängerin Ruby Tingle – sehr britische Melodien. Da müssen einige Kate-Bush-in der elterlichen Plattensammlung gestanden haben. Soundmässig leider suboptimal: die Subbässe durften nicht wummern, die Gitarren zuwenig schreddern. Mit diesem Sound wären die Konzertgänger*innen am Glastonbury-Festival sicher nicht zufrieden gewesen.
Nur war man hier eben in der Bridgewater Hall, dem Wohnzimmer der klassischen Musik in dieser Stadt. Da wurde 15 Dezibel leiser gefahren.
Vulva Voce
Auftritt eines weiblichen Streichquartetts, dass sich mit grosser Freude über alle Genregrenzen foutiert: Vulva Voce
Die vier jungen Frauen setzen auf stilistische Regelverletzungen und Klangexperimente. Und sie setzen bewusst auf Werke von Komponistinnen aus allen Jahrhunderten. So kombinierten sie frisch eine der ersten überhaupt überlieferten Kompositionen einer spanischen Komponistin aus dem späten Mittelalter in einem Arrangement aus Techno-Grooves, Duftnote 2024.
Das geht, das klingt, und das ohne Bruchkanten. Voraussetzung: gekonntes Handwerk. Das besitzen die vier Ladies!
Heather Ferrier
Heather Ferrier steht mit ihrem Akkordeon alleine auf der Bühne und meint trocken und stolz zu gleich: „Wer hätte gedacht, dass das kleine Mädchen, das vor fast exakt 20 Jahren in Stockport ein Akkordeon erhielt, einmal eines der renommiertesten Festivals in dieser Bridgewater Hall eröffnen würde. Ich sicher nicht.“
Dass Heater Ferrier aber durchaus die Leute fesseln konnte war schon nach wenigen Tönen klar: Spielwitz, eine rasante Fingertechnik auf dem Instrument und immer für einen melodiösen Abstecher zu haben. Heather kommt aus der Folk-Musik, aber wildert sehr gerne in freien bis jazzigen Harmoniewelten.
Als Zugabe zeigte sie zudem, dass sie auch das Clogging, dieser irischen Vorläufer des Steptanzes, bestens beherrscht. Grosser Applaus.
Agbeko
Zum Abschluss des Eröffnungsabends enterten ein Dutzend Musikerinnen und Musiker die Bühne: Agbeko.
Das Kollektiv begann seine Karriere mit Afrobeat und anderen westafrikanischen Groove-Stilen. Sie zählen neben Fela Kuti auch Mulatu Astatke, Woody Guthrie und Led Zeppelin zu ihren musikalischen Ziehvätern. Und so erstaunt es denn nicht, dass hier mächtiger Klang, angeführt von der Bläsersektion, mit jazziger Attitüde, eher bei Key/Gitarre zu finden, eine glückliche Fusion eingehen.
Die beiden Sängerinnen beherrschen sowohl Groove wie jazzige Melodieführung. Insgesamt ergibt das eine Afrobeat-Neo-Jazz-Melange, die ansteckend positiv wirkt.
Ein gelungener Auftakt zum 30. Jubiläum der WOMEX. Es darf so weitergehen!
Die WOMEX 2024 Konzertabende
Der Eröffnungsabend
w. meint
Ja, lieber Jok, weiter so. Gut gemacht!