Jede Entscheidung hat Konsequenzen. Beispiel: Man nimmt etwas Tempo raus, hat nur noch etwa die Hälfte der Konzerte an diesem zweiten WOMEX Abend auf der Liste – und dann erzählen einem die Kolleginnen und Kollegen, dass man dieses oder jenes verpasst habe, dieses oder jenes Konzert sei umwerfend gewesen, etc.
Am Schluss des Posts darum auch die Links zu den Bands und Künstlern, die ich verpasst habe – und von denen man mir geschwärmt hat. Aber zuerst erzähle ich von den Konzerten, die ich sah.
Les Mamans du Congo with Rrobin
Vom Promotor der Band wurde mir schon vor dem Auftritt erzählt, dass die Mamans keinen Unterschied machten zwischen Showcase (wie hier an der WOMEX 2024) und einem regulären Konzert. Das Publikum bekomme immer das ganze Paket. Das ganze Paket heisst in diesem Fall nicht nur die Musik, sondern auch den vollen visuellen Auftritt.
Da die Mamans viel vom Leben auf dem Dorfe singen, resp. rappen, war auch viel Lokalkolorit im Bühnenbild zu sehen. Ich dachte zuerst: Machen sich die Ladies ein bisschen lustig über ihre ehemaligen Kolonialherren, indem sie genau jenes Bild der edlen Wilden vermitteln, das wir mittlerweile nicht mehr gerne in den Geschichtsbüchern abgebildet sehen? Doch lassen wir das, es gehört zu den Geschichten, welche die drei Ladies erzählen.
Damit zur Musik: Die Leadsängerin Nathalie Gladys Samba beherrscht die Bühne, vom Begrüssungsritual über die Songs bis in die Zwischenmoderationen. Rrobin, der aus dem Hintergrund die Soundfiles der Produktion beisteuert, blieb die «kleine» Rolle, die jeweiligen Songtitel zu übersetzen.
Damit während wir auch beim Wermutstropfen: Die beiden Backing-Sängerinnen/Tänzerinnen bewegten zwar ihre Lippen, aber ihre Stimmen kommen aus dem Rechner. Das ist auch kaum anders zu machen, denn ihre getanzten Illustrationen der Songs sind kräfteraubend, weil zuweilen sehr gymnastisch.
Zu den beiden Herren im Hintergrund: Rrobin hat seine Files bestens im Griff. Auch als Perkussionist setzte er treffende Akzente. Armel Paraclet Malonga Mikamona mit seinen Trommeln und Rasseln jedoch war die rhythmisch verbindende Figur, der Leim zwischen den digitalen Spuren, den Tanzenden und der rappenden und singenden Frontlady.
Trotz etwas neo-kolonialistischer Kulisse ein überzeugender Auftritt, ein Feuerwerk an Bildern und Sounds.
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Ali Doğan Gönültaş
So lebendig kann Tradition sein! Man vergesse das Vorurteil, dass kurdisch-alevitische Lieder vor allem melancholisch seien. Sind sie, zumindest im Repertoire von Ali Doğan Gönültaş, überhaupt nicht.
Der Baglama-Virtuose zeigte gleich beim ersten Songs, dass sein Instrument sogar rocken kann. Immer ein schelmisches Lächeln auf den Lippen führt er durch ein Repertoire, das die Lieder seiner alevitischen Herkunft ins Zentrum setzt, aber auch das kurdische und türkische Liederbuch einbezieht. Am Nachmittag noch erklärte mir Ali sehr anschaulich, was denn das Spezielle an der alevitischen Kultur und ihrem Glauben sei so:
Die Christen haben ihre Bibel, die Moslem den Koran. Wir Aleviten haben die Baglama.
Und sagte damit, dass alle Kultur, die Geschichte seines Volkes, die Überzeugungen und moralischen Leitplanken durch Geschichten, und vor allem durch Lieder weitergegeben werden. Da gibt es Lamenti ebenso wie freudige Tanznummern. Unterstützt von einem sehr flexiblen und aufmerksamen Trio mit Rahmentrommeln, Klarinette und diversen Duduks zeigte Ali Doğan Gönültaş, wie vielfältig seine Herkunft klingt.
Der Sänger erlaubte sich gegen Ende des Konzerts auch einige kleine Ausflüge ins Komödiantische. Zum Schluss tanzte der bestens gelaunte Musiker sogar – er fühlte sich sichtlich wohl auf der WOMEX-Bühne. Das Publikum feuerte ihn rhythmisch klatschend an. Strahlende Gesichter!
Gnoss
Auf der Bühne der Albert Hall standen vier junge Schotten aus Glasgow: Gnoss. Diese Albert Hall hat nicht, wie ihre Schwester in London, das „Royal“ im Namen. Doch da wie dort gilt: Für die Musiker, hier insbesondere der Folkszene, bedeutet ein Auftritt auf dieser Bühne, dass sie es geschafft hatten, dass sie zu den Grossen gehören.
Sein Renomée hat sich das Quartett im Lauf der letzten zehn Jahren mit drei Alben und hunderten von Konzerten auch redlich verdient. Sie kennen ihr schottisches Liederbuch vorwärts und rückwärts, erlauben sich aber auch Ausflüge in Bluegrass-Klänge. Auch digitale Farbtupfer sind nicht ausgeschlossen. Sehr solides Handwerk und frische Interpretationen.
Später meinte mein Gewährsmann, der mir das Konzert ans Herz gelegt hatte: „Die können noch mehr. Hast du übrigens die KanadierInnen von É.T.É gesehen – die waren noch besser.“ Nur spielten die gleichzeitig wie Gnoss, und am anderen Konzertort, eine halbe Stunde weit weg…
Nein, ich habe meinen Gewährsmann nicht geschüttelt.
Ëda Diaz
Die kolumbianische Bassistin hatte im Frühjahr eine ausgezeichnete CD vorgelegt «Suave Bruta»; ich war gespannt.
Auf der Bühne überraschte sie als Performerin, die ihr Instrument, den Kontrabass, sehr oft alleine auf dem Podest stehen liess. Die Rhythmen, resp. die Loops nahmen viel Platz ein, beherrschten den Gesamtklang dominant. Zwei Keyboards, ein Schlagwerker und sie als Frontfrau, mehr Personal gab’s nicht mehr auf der Bühne.
Die Rhythmus-Loops warfen einen Trance-Teppich aus den Lautsprechern, Ëda zelebrierte die Melodien. Liess auch mal Akkordeon-Klänge aus dem Sequenzer einfliegen. Mir fehlte etwas. Ich hörte mir später im Hotelzimmer nochmals die Studio-Aufnahme an – und merkte, dass ich einmal mehr von meiner von meinen Vorstellungsbildern irre geleitet worden war: In den Aufnahmen lässt sich die Komponistin von den digitalen Klängen tragen, die Stimme ist ganz nach vorne gemischt. Auf der Bühne hatte ich den Eindruck, dass sie die digitalen Kanäle in ihrer Bühnenpersönlichkeit zusammenführte. Dass sie eben nicht vorne, sondern mitten in den Spuren stand. Wahrnehmungsverschiebung meinerseits, resp. déformation professionnelle.
Ich werde in Zukunft etwas mehr Abstand zu meinen Klang-Erinnerungen nehmen müssen..
Balimaya Projekt
Die Bühne war fast zu klein für die vielköpfige Band aus London. Das Kollektiv war etwas zu spät angereist, und startete aus dem Soundcheck, und mit leiser Verspätung, fliessend in’s Konzert.
Die Trommeln! Alles in dieser Band basiert auf den unterschiedlichen, und hier im grossen Stil eingesetzten Trommeln Westafrikas. Die Gitarre schneidet sich ihren Weg zuweilen durch die super-dicken Rhythmus-Teppiche. Die Albert Hall ist nicht die ideale Klangumgebung für diese Art von Musik. Schnell wird der Rhythmus, obwohl sehr synchron geschlagen, vermanscht. Das Keyboard vermag sich zuweilen noch durchzusetzen, die Bläser stehen aber – auch physisch – ganz im Schatten der Band. Gute Songs, clevere Arrangement, aber die Feinheiten gingen in einem matschigen Mix unter.
Auch hier hätte ich auf einen Ratschlag eines Kollegen hören sollen. Im ersten Rang, auf dem ersten Balkon des Lokals, wäre der Mix super-transparent angekommen. Nur hatte ich es nicht gewagt, die Absperrkordel für die Treppe in den zweiten Stock unerlaubterweise zu überschreiten…
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Benin International Musical BIM
Musik aus Benin zum Abschluss dieses zweiten Konzertabends an der WOMEX 2024. Und wieder gilt es, die eigenen Vorstellungen davon, wie die Musik aus Afrika zu klingen hat, über Bord zu werfen. Denn von der Bühne kam ein Mix aus harten Rockriffs, gepaart mit Rap-Kaskaden.
Die Band ist ein Kollektiv, zusammengerufen von Produzent und RFI-Radiodirektor Hervé Riesen und Produzent Jérôme Ettinger. Hörbar auf den europäischen Markt ausgerichtet. Hinter den beiden Frontladies, die abwechselnd sangen und rappten, führte ein hochoktaniges und hart spielendes Rocktrio das musikalische Szepter. Ein Perkussionist sorgte für die Verbindung zwischen den Beats und den Stimmen. Die Songs waren mehrheitlich auf Energie getrimmt, die zurückhaltenderen Nummern wirkten fast als Fremdkörper. In ihrer Sanftheit fast etwas zuckersüss.
Es war ein musikalisch harter Slalom, aber für manche Delegierte der nötige Adrenalin-Schub an diesem frühen Morgen – es war mittlerweile 01.30h – um noch einmal das Tanzbein zu schwingen.
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Und was habe ich verpasst? U.a. das musikalisch spannende Trio Ensemble Chakâm (YouTube), Maloya aus La Réunion mit Votia (YouTube), die bereits erwähnten Folker É.T.É aus Kanada oder die Melodien aus der arabischen Welt mit Ghazi & Boom.Divan.
Die WOMEX 2024 Konzertabende
Zweiter Konzertabend
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