Zweiter Abend am Babel Music XP 2025

Der zweite Abend am Babel Music XP 2025 beginnt in Folk-Farben und wandelt sich im Verlauf des Abends zu einem Ethno-Pop Ausflug.

Es gibt zu berichten von einem Liederbuch aus Persien, einem ebensolchen aus Irland, einer Songwriter-Ikone aus dem Stiefelabsatz Italiens, einer energischen und energetischen Songwriterin aus Brasilien, und einer nicht wirklich zwingenden Fusion-Formation aus dem Magreb. Weiter begegnen wir einem etwas seltsam anmutenden Act aus der Ukraine, einer strategisch aufgestellten Truppe aus Kinshasa und einer Rapperin aus Südafrika.

Rokh Quartet

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Der Abend beginnt mit dem Rokh-Quartet, dessen Mitglieder mit dem persischen Liederbuch aufgewachsen sind und heute zwischen Teheran und den Musikmetropolen im Westen hin und her pendeln. Alle Musiker und Musikerinnen haben u.a. in Teheran die alten Quellen studiert. Doch diese dienen heute vor allem als Vorlagen.

Die Arrangements sind der Gegenwart angepasst, ohne aber die Quellen zu trüben. Das ist u.a. daran erkennbar, dass die Hälfte des Quartett mit Frauen besetzt ist. Sie spielen die Oud und die Tar, und alle Musiker singen! – was den Frauen im heutigen Iran bei öffentlichen Auftritten nach wie vor verboten ist.
Der Auftritt des Quartetts besticht durch hohe Virtuosität und einen unverkrampften Umgang mit der musikalischen Tradition.

Séamus and Caoimhe Uí Fhlatharta

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Das irische Geschwisterpaar interpretiert das traditionelle Liederbuch mit einer jugendlichen Frische und Unbekümmertheit dass es eine Freude ist. Die irisch-gälische Sprache und Kultur haben sie mit der Muttermilch aufgesogen, denn ihre Heimat ist eine sog. Gaeltacht-Region im Westen von Irland.

Neben dem klassischen Liederbuch wird in diesen Regionen auch viel Wert auf das Studium ganz unterschiedlicher Instrumente gelegt. Während Caoimhe vor allem durch ihren Gesang und ihre Virtuosität auf der Geige glänzte, wechselt Séamus fast bei jedem Song zwischen Bodhrán, Gitarre oder Harfe. Wie locker die beiden jungen Interpreten mit der Tradition umgehen zeigt sich auch darin, dass selbst die Beatles als Vorlage für ein irisches Traditional sein können: «Blackbird» erhielt eine Treatment a la Conamarra.

Dario Muci

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Dario Muci, der italienische Cantautor zelebrierte seinen Auftritt. Er ist seit mehreren Jahrzehnten eine Folkgrösse im Salento, und für seine Geschichten fast bekannter als für seinen Melodien. Geschichten von der Härte des Lebens im Stiefelabsatz Italiens, von den Presskommandos, welche die Männer zu den Arbeiten auf den Feldern der Grossbauern zwangen, zu Kriegsdiensten oder auf den Handelsschiffen im Mittelmeer.

Auf der Bühne begleiten ihn ein Multiinstrumentalist mit Blechblasinstrumenten und Tamburin, ein Mandolinist, ein Schlagwerker und ein Keyboarder mit Computer. Aus seinem Rechner werden auch immer wieder Naturklänge – Meeresrauschen, Wind etc. eingespielt. Am Auffälligsten, weil gut spürbar, sind die Basstöne, die sich gerne in kaum hörbaren Subbass-Bereichen bewegten. Das ergibt insgesamt einen fetten, grossen Sound, nur fehlen dem Auge die Akteure. Als Gastinterpretin betritt in der Mitte des Sets die Sängerin Enza Pagliara die Bühne. Jetzt sind sie plötzlich da, die Duette aus dem Salento. Jetzt stimmen die Klangfarben mit dem Geschehen auf der Bühne überein.

Bia Ferreira

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Die brasilianische Songschreiberin und Sängerin hält sich an das, was sie sich am Nachmittag vorgenommen hatte: Leute mit Ideen und Energie anstecken. Ganz alleine sitzt sie mit ihrer Gitarre auf der Bühne. Sie sagte mir am Nachmittag, dass sie sich von ihrer Band kurzfristig verabschiedet habe, und wie in alten Zeiten alleine unterwegs sei

«weil ich mich aus der Komfortzone rausnehmen musste. Mit der Band hatte ich zu viel Unterstützung, wurde etwas bequem.»

Jetzt wird die Gitarre auch zur Trommel, die Saiten müssen einiges aushalten, und die Sängerin dreht von Song zu Song mehr auf. Jeder Song wird begleitet mit einem Exkurs in die Ungerechtigkeiten des Lebens, in die fehlende Rechts-Balance zwischen Mann und Frau, in die Verwerfungen des modernen Wirtschaftssystem, und die Unfähigkeit resp. Respektlosigkeit der Politiker. Man kann sie sich bestens mit einem Megafon in der Hand in den Reihen von Demonstrierenden vorstellen. Eine volle Stunde Agitation und Mutmachen – das Publikum ist überzeugt.

AZMZ – Bnat Louz & Raskas

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Dann eine Truppe, deren musikalisches Konzept ich nicht verstehe. Es ist eine Fusions-Idee, die aber in dieser Form nicht aufgeht. Da ist im Zentrum eine eng zusammenstehende Frauentruppe, versteckt unter einem gemeinsamen, über die Köpfe gelegten Schal, in kleinen und kleinsten Schritten tanzend, mal in einer Reihe, dann mit etwas ausholenderen Schritten im Kreis. Den Takt geben zwei Männer mit ihren Tamburinen vor. In der Tradition der Berber aus dem Atlasgebirge werden die Frauen von einer Männergruppe mit mehrheitlich Perkussionsinstrumente begleitet. So war, und ist es wohl immer noch, bevor sich die Elektronik einmischte.

Denn auf der Bühne in Marseille legt ein Elektroniker-Duo aus Casablanca, Raskas, mit Gitarre und Rechner einen dermassen breiten und schwülstigen Techno-Klangteppich aus, dass es die Gesänge der Frauen und die Tamburine der beiden Männer an die Wand drückt. Die Wucht der synthetischen Klänge ist so überwältigend, dass man weder das Klatschen, und oft nur ganz knapp die Stimmen der Frauen hört. Es fehlt eindeutig der ausgleichende Einfluss eines Bühnenregisseurs oder Arrangeurs, denn für die Elektroniker (und auch den Saal-Mischer) ist Zurückhaltung ein Fremdwort.

 

Ragapop

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Gleich anschliessend gibt es noch einen Auftritt, der zwar als musikalische Darbietung definiert wird, aber wohl eher als Noise-Kabarett-Fetisch Nummer mit kaum erkennbaren Rap beschrieben werden könnte. Herkunft: Ukraine. Mir ist bekannt, dass in der Ukraine Musik und Theater enge Geschwister sind. Und ich kann mir auch etwas vorstellen, wenn musikalisch von Electro-Punk die Rede ist.

Aber das hier auf der kleineren Bühne in den Dock des Suds wirkt eher wie die Szene aus einem mittelprächtigen Tatort, wenn sich die Ermittler ins Rotlicht-Milieu verirren und selbst der unerfahrenste Zuschauer zu Hause ahnt: Nein, so wird das in Tat und Wahrheit dort nicht aussehen. Eine mögliche politische Aussage? Vielleicht, doch die versinkt in Noise und fragwürdiger Show. Vielleicht gehöre ich einfach nicht zur Zielgruppe diese Darbietung…

Kingongolo

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Auf der grossen Konzertbühne war hochoktaniges Rhythmus-Feuerwerk aus Kinshasa angesagt: Kingongolo. Die fünf Jungs, alle aus unterschiedlichen Regionen des Landes und aus unterschiedlichen Gründen in Kinshasa gestrandet , haben gut analysiert, was ihre stilistischen Vorgänger alles vorgepfadet hatten: die Instrumente aus recyceltem Abfallmaterial,(z.B. Staff Benda Bilili oder Fulu Miziki), die leicht futuristischen Bekleidungsstücke (z.B. Mbongwana Star).

Am Nachmittag im Interview hatten mir die Musiker verraten, dass die Band nicht nur die Freude an der Musik antreibt, sondern eine ausgeklügelte Strategie: Gibt es irgendwo eine Band mit einer einsaitige Gitarre? Nicht?; wir bauen sie! Ebenso einen zweisaitigen Bass und ein Zwischending zwischen einem Balafon, einer Pet-Flaschen-Sammlung und einem Gamelan-Trommelset. Und, entgegen dem Zeitgeist, gibt’s eben nicht den erwarteten Hip Hop Wortschwall sondern Melodien und Rumba-ähnliche Chorarrangements. Was die Jungs, zumindest in der Live-Situation nicht kennen – auf ihrem Erstling klingt das differenzierter – ist Dynamik im Setaufbau. Da wird konstant auf die Tanzbeine gezielt, nahtlos reiht sich ein schnell-taktiges Stück an das nächste, wenn möglich noch schnellere. Als müssten die Tanzbeine, die zur späten Mitternachtsstunde schon etwas müde sind, einfach in Bewegung gezwickt werden müssen.

Yugen Blakrock

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Der Hip Hop wird mit dem nächsten Auftritt nachgeliefert: Yugen Blakrock aus Johannesburg ist die Frontlady – aufmerksamen Kinogängern vielleicht aus dem Abspann des Films «Black Panther» bereits ein geläufiger Name. DJ und Produzent Kanif the Jhatmaster liefert die Beats aus seinem Rechner, unterstützt von einem Gitarristen, der Farbe-Funken-Akkorde in die Rhythmen wirft.

Frontlady Yugen Blackrock passt ihre Wortkaskaden ganz den Tempi aus dem Rechner an: werden die Betas schneller, werden die Worte dichter; lässt das Tempo zwischendurch etwas nach, zelebriert die Frontlady jede einzelne Silbe. Doch es herrscht eher ein Überangebot an Worten. Die Beats sind Marke Breitleinwand, wuchtig und schwer. Sie setzen einen passenden Schlusspunkt an einem Konzertabend, an dem die Subbässe – je später die Stunde umso kräftiger und nachhaltiger – die Hosenbeine flattern liessen. Es wurde laut.

 

Die erste Nacht am Babel Music XP 2025

Die zweite Nacht am Babel Music XP 2025

Die dritte Nacht am Babel Music XP 2025

 

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