Die zweite Ausgabe von «Babel Music XP» will grösser und diverser, mehr auf Zusammenarbeit ausgerichtet sein. Er erste Tag startete vielversprechend.
Wenn einer eine Reise tut – kann er was lernen. Gerade geschehen in der Eröffnungsrede von Festivaldirektor Olivier Rey: Babel heisst auf Arabisch «Türe», und deshalb soll hier in Marseille nicht, gemäss dem biblischen Bild, Unverständnis entstehen, sondern Netzwerke gebildet, Gemeinsamkeiten entdeckt werden.
Rust (Libanon)
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Einer der Schwerpunkte im diesjährigen Babel-Programm sind die Töne aus dem Libanon. Die geschichtliche Verbindungen zwischen Frankreich und dem Libanon sind lange, und nicht immer nur friedlich verlaufen. Hier in Marseille stellen sich Bands ganz unterschiedlicher Stilrichtungen vor.
Das Duo Rust verbindet traditionellen Tarab-Gesang mit schweren Beats. Petra Hawk und Hany Manja leben heute in Prag. Während Petra ihre Melodien nach traditionellen Vorbildern formt, legt Hany mit seinen tiefen Basstöne und schleppenden Rhythmen eine solide Basis. Obschon die beiden Welten klanglich gut zusammenpassen, entsteht nach einigen Stücken ein Gefühl von Statik: Man müsste wohl die Texte verstehen können.
Erwan Keravec – 8 Bläser für Philip Glass
Der Abend wird mit einem eher untypischen Werk in der Klangwelt der World Music eröffnet: Erwan Keravec aus der Bretagne hat acht Dudelsack und Bombarde-Spieler zusammengerufen, um Stücke des Minimal-Music Pioniers Philip Glass zu interpretieren.
Sowohl Dudelsack wie Bombarde sind keine leisen Instrumente: Stehende Töne, umringt von quirligen Arpeggien, bilden Klangwände im Raum. Die Dynamik innerhalb der Komposition wird nur kurz angedeutet durch entweder eine Änderung des Grundtones, oder durch eine neue Klangverteilung zwischen den Instrumenten. Ein physisches Klangerlebnis.
Suonno d’Ajere (Italien)
Aus Neapel kommt das Trio Suonno d’Ajere. Wenn Neapel innerhalb von Italien durch eines herausragt, dann durch die Kunst des Gesangs, der schwärmerischen oder spöttischen Lieder, vorgetragen mit viel Leidenschaft und Humor. Das machen auch Suonno d’Ajere.
Irène Scarpato versucht zwar immer wieder, das Schelmische der Lieder zu beschreiben, aber es bleibt beim Versuch. Alles stimmt: eine fabelhafte Sängerin, eine Mandoline, eine Gitarre, alles austariert, aber irgendwie will der Funke nicht springen. Es ist mehr Liederabend als ein Fest.
Dafné Kritharas (Frankreich/Griechenland)
Auf der grössten Bühne des Dock des Suds hat Dafné Kritharas sowas wie ein Heimspiel. Nicht was die Melodien betrifft, denn die kommen aus Griechenland. Aber am diesjährigen Babel Music XP Festival erhalten mehr denn je Bands aus den Generationen der Secondas oder der dritten Generation von Migrationsfamilien eine Auftrittsmöglichkeit.
Dadurch wird einmal mehr bewusst gemacht, wie multikulturell Marseille und seine Region sind, wie stark die kulturellen Verknüpfungen zwischen Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika sind. Es ist auch erfreulich zu hören, wie die jungen Musiker*innen ihre beiden Heimaten zu verknüpfen vermögen. Sie leben ohne Zweifel und Stress in beiden Kulturen.
Ana Lua Caiano (Portugal)
Auftritt Ana Lua und ihre Loopstation, ausgebreitet auf einem Tisch, der fast ein bisschen wie ein Küchentisch wirkt. Ana Lua füttert sehr gekonnt unterschiedliche Perkussionsinstrumente, Geräusche und Klangphrasen in ihre Loopstation und baut so ihre Soundlandschaften.
Auch hier herrscht erst Verwunderung, wieviele Soundschichten die junge Frau auf der Bühne übereinander schichten würde. Das Publikum hat die Baukunst der Songs aber bald begriffen. Am Schluss des Konzerts spielt es sogar mit, übernimmt einen Klatsch-Loop, inkl. stop and go innerhalb des Arrangements. Digitale Klanglandschaft mit Publikumsbeteiligung, ziemlich entspannt. Die Musikerin muss allerdings aufpassen, dass der Aufbau ihrer Klang-Bauten sich nicht allzu oft wiederholt, sonst wird ihre Kunst zu transparent.
Sanam (Libanon)
Ganz andere Klänge verbreiteten Sanam, auch sie eine Band aus Beirut. Der Bandbeschrieb meint, dass die Truppe Rock, Tarab-Melodien, Free-Jazz und Ambient Music verbinden. Von Ambient war aber weit und breit nichts zu hören.
Im Gegenteil: was da von der Bühne donnerte, selbst in den leisen Partien, war irgend etwas zwischen Post-Punk mit melodischer Leadstimme, kombiniert mit in einer Bleib-mir-vom-Leib-Attitude.
Ist die Musik als Spiegel dessen zu sehen, was im Libanon und im Nahen Osten ganz allgemein passiert? Es ist Noise, gepaart mit harten, nicht immer nachvollziehbaren Zwischenrufen. Mir fehlte der Zugang, die Musik wirkt auf mich, als müsste ich auf Abstand gehalten werden.
PoiL Ueda (Frankreich / Japan)
In Sachen Punk-Power noch einen drauflegen können die Japanerin Junko Ueda und ihre Begleitband PoiL. Die Japanerin sitzt mit ihrem exotischen Instrument, einer Satsuma Biwa, im Bühnenzentrum, und erzählt, rezitiert, schreit und gurgelt eine der vielen epischen Geschichten aus dem kriegerischen Mittelalter Japans.
Unterstützt von einer Band, die gerne daherkommt, als wären alle Höllenhunde losgelassen – zumindest wenn es um Schlachten und wundervolle Heldentaten geht. Was in diesen Geschichten ja oft der Kern der Erzählung ist. Hart, wild, Exotik ohne eine tragfähige Verständnisbrücke. Der Saal war bald nicht mehr so gut gefüllt.
Oriane Lacaille (Frankreich / La Réunion)
Derweilen verbreitete Oriane Lacaille auf der zweitgrössten Bühne Süsse und Lebensfreude. Im Trio gelang es ihr, ein bisschen exotisches Flair in die etwas kühle Industriehalle zu zaubern.
Die Lieder ihrer aktuellen Veröffentlichung iViv kamen ausgedehnter daher, es durfte etwas freier getanzt werden. Das Trio auf der Bühne harmonierte bestens und war gut gelaunt. Leider ist die Stimme von Oriane etwas gar zart. Es fehlte in dem Konzert an den kräftigen Farben und einer Leaderfigur die klar machen konnte, wohin die Reise denn nun ging.
Poundo (Senegal / Frankreich)
Womit wir bei einer Frau landen, die sich fast jedes kreative Metier schon angeeignet hat: Modell, Designerin, Komponistin, Tänzerin. Partymotor fehlt auf der Liste noch.
Ebensowenig kann sie sich für eine musikalische Stilrichtung entscheiden. Afro-Trap wird als Stilbezeichnung angegeben, doch da ist auch eine rechte Portion Soul, R’n’B der modernen Art, eine Portion Mbalax, Hip Hop oder purer Pop sind in der Repertoire-Mischung zu finden. Hauptsache es kommt viel Energie von der Bühne und die Party geht ab.
Reco Reco Y Canalon de Timbiqui (Frankreich / Kolumbien)
Hier fusionieren zwei Bands aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen zu einem Powerhouse: Reco Reco ist eine Electro-Truppe aus Toulouse, Canalon de Timbiqui sind sowas wie die Hüterinnen des traditionellen Liederbuchs von Timbiqui an der Pazifikküste Kolumbiens.
Drei Percussionisten, die Sängerinnen, angeführt von Nidia Góngora, und ihre Groove-Stütze, die Marimba. Das Ganze, verbunden durch einen Synth mit viel digitalen Sub-Bässen und harten Strom-Gitarrenakkorden, ergibt sowas wie eine Cumbia-Party mit Rockattitüde. Nicht dass die beiden Welten nicht zusammengepasst hätten. Es war einfach fast ein bisschen zu extrem aufgebohrte Südamerika-Partystimmung. Wer ein Schwungrad in den Beinen hatte konnte getrost noch nach Hause laufen, auch wenn das noch eine grössere Strecke weit weg lag.
Und mitten drin, mitten im Foyer, als ob da nicht ein paar Hundert Menschen hin und her gingen oder hasteten, dies:
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