Der letzten Abend am Festival Babel Music XP startet ruhig. Die zu erwartenden Klangwelten liegen zwischen klassischem Orchester und Experiment – und auf einer Bühne geht später dann doch die Post ab.
Bedouin Burger (Syrien / Libanon)
Eine syrische Sängerin und ein libanesischer Produzent sind Bedouin Burger. Lynn Adib interpretiert ihre Songs mit Zurückhaltung und Sanftheit. Gehauchte Melodien, klingende Seidentücher.
Zeid Hamdan unterstreicht diese zerbrechlichen Melodien mit leisen Klanglandschaften aus seinem Rechner, Bordun-Basstönen und hingetüpfelten Gitarren-Arpeggien. Die Musik der beiden ist fragil, kann sich jederzeit auflösen.
Haratago (Frankreich / Baskenland / Naher Osten)
Haratago ist ein seltenes Amalgam. Die Melodien aus dem Baskenland sind in ihrer Naturbezogenheit Verwandte der nordischen Joiks. Worte kennen diese Melodien nicht, obschon seltsamerweise in derselben Kulturlandschaft der Pyrenäen auch viel Poesie entstanden ist.
Musikalische Begleitung finden die Melodien in einem Trio, das seine Inspiration gerne aus der Klangwelt des Nahen Ostens bezieht. Ob es die kargen Berglandschaften sind, die ähnliche musikalische Ideen entstehen lassen?
The Naghash Ensemble of Armenia (Armenien / USA)
Das Konzept des Naghash Ensemble ist die konzertante Umsetzung von Texten des armenischen Priesters Mrditch Naghash. Dieser Priester nutzte im 14.Jh. neben seinen Predigten auch Poesie und Malerei, um die schwierige Beziehung zwischen Mensch und Gott zu beschreiben und zu klären.
Der armenisch-amerikanische Komponist und Pianist John Hodian vertont seit zehn Jahren die Gedichte von Naghash. Drei Sängerinnen werden von Oud, Duduk, Piano und Perkussion begleitet. Die Instrumente lassen einen exotischen Gesamtklang erwarten. Der ist jedoch ebenso eng verwandt mit der europäischen Klassik, und einigen Harmonie-Spaziergängen Richtung Jazz.
Cindy Pooch (Frankreich)
Cindy Pooch hat sich aufgemacht, das Chanson in den Jazz zu entführen, und in die Welt der improvisierten Harmonien. Begleitet von einer melodisch sich zurückhaltenden E-Gitarre, einem Cello, und unterstützt von etwas Elektronik, singt sie gerne weit weg von bekannten Lied-Strukturen. Es sind oft Melodienbruchstücke, aufgereiht auf eine Schmuckkette, die vielleicht eine Gesamt-Melodie ergeben.
Es ist keine offen zugängliche Liedkunst, welche Cindy Pooch hier pflegt. Ich habe den Eindruck, dass die Lieder aus einer Einsamkeit heraus geschrieben wurden, oder entstanden sind. Oder aus einer Suche nach neuen Formen für das Chanson. Wer sich einen Eindruck verschaffen will, wie das klingt, und von der Bühne her wirkt: Letztes Jahr hat ARTE einige Lieder der Sängerin an den Nuits Secrétes mitgeschnitten.
Das Festival Babel Music XP ist auch an diesem Abend sehr gut besucht. Da ist auf der einen Seite das an Klassik interessierte, mehrheitlich ältere Publikum. Die jugendlichen Nachtschwärmer sind aber auch schon zahlreich vor Ort, hören in die Konzerte rein, und sind dann recht froh, als es endlich mit etwas Groove lostgeht.
Alostmen (Ghana)
Alostmen a.k.a. Stevo Atambire und seine Mitstreiter aus Ghana kündigen sich aus dem Publikum heraus an. Nach dem rhythmischen Intro wird auf der Bühne die Kologo angeschlossen, und los geht es. Die Band legt ein mächtiges Tempo vor. Schon zu Beginn des Sets führt Stevo seine beiden grössten Hits in der Playlist: «Teach me» und «Kologo». Das Publikum geniesst den Energie-Schub.
Leider hat der Sänger damit schon ziemlich schnell sein Pulver verschossen, die Intensität des Auftritts nimmt ab. Auch wenn später noch ein Lied über den Gaza-Krieg auftaucht – Aktualität gehört auch in modernen Zeiten zum Geschäft der Sänger, ganz im Stil der singenden Zeitung – will die Rakete nicht mehr gross zünden.
Die kleinste Bühne in den Docks ist ab sofort der Partytempel des Abends, während die zweitgrösste Halle für Experimente zur Verfügung steht. Im grössten Saal finden die konzertanten Aufführungen statt.
Louise Jallu (Frankreich)
Dort entführt Louise Jallu mit ihrem Bandoneon ihr Publikum in Tango-Welten. Sie ist eine Piazzolla Schülerin, kennt sich aber auch bei Brassens oder in der modernen Klassik aus. Ihr Tango ist leise und sehr intellektuell.
Am spannendsten klingt die Band, wenn sich das Bandoneon mit der Gitarre unterhält. Gitarrist Karsten Hochapfel kommt klar aus der Jazzecke und weckt die gerne in freie Klangwelten abtauchende Bandeonistin wieder zurück auf die Bühne.
Lagon Noir (Burkina Faso, Frankreich, La Réunion)
Noch mehr Fusion-Experimente gibt’s mit «Lagon Noir»: der Schlagwerker Marcel Balboné kommt aus dem Afrobeat, resp. Burkina Faso, der Saxofonist / Keyboarder Quentin Biardeau, ist immer bereit Harmonien aufzubrechen. Sein Bassist, Valentin Ceccaldi, schreitet zuverlässig durch die Rhythmen, und Ana O’Aro aus La Réunion, kennt sich in Melodien ebenso gut aus wie in der Kunst des Deklamierens.
Wer diese Klangwelt besuchen möchte: die vier geben auf YouTube einen Einblick in ihren Proberaum.
Zar Elektrik (Frankreich / Magreb)
Vor der kleinsten Bühne haben sich mittlerweile alle, die tanzen wollen, versammelt. Die Grooves lassen auch kaum was anderes zu. Zar Electrik spielen African Electro, oder Gnawa-Tronics, um ein Wortspiel zu wagen. Elekrifizierte Kora trifft auf Gimbri, Gitarren und eine kreative, digitale Groovemaschine.
Europa, insbesondere Spanien, der Magreb und die Trancemusik der Berber treffen hier aufeinander. Ein musikalischer Austausch, der schon über Jahrzehnte hinweg besteht wird nun für die Tanzfreudigen auf beiden Seiten des Mittelmeers neu aufbereitet.
Kunta (Frankreich)
Das letzte Konzert auf der grossen Bühne setzt auf Pop mit Jazzintarsien und Hip Hop. Kunta machen mit einer zentralen Keyboard-Burg klar, dass hier Trancemusik neu interpretiert werden könnte. Erfreulicherweise ist aber auch ganz viel Handwerk an den Instrumenten im Spiel.
Die Keyboards werden von fast allen Bandmitgliedern bespielt, Bass und Schlagwerk ausgenommen. Die halten die Grooves zuverlässig. Hie und da ist ein Einwurf aus der Pentatonik Äthiopiens zu hören, oder eine Sound-Erinnerung die darauf hinweist, dass im elterlichen Plattenschrank wohl auch Scheiben von Weather Report zu finden wären. Nicht unbedingt World Music, aber Music from different worlds im vielfarbigen Hip Hop Gewand.
Parranda La Cruz (Venezuela / La Réunion / Frankreich)
Bevor die DJs die Bühne übernehmen bringen Parranda La Cruz ihre erfrischende Mischung aus Grooves und Rhythmen aus La Réunion, und Melodien von der Karibik-Küste Venezuelas nach Marseille. Perkussion und vier harmonierende Stimmen, mehr braucht’s nicht.
Die Truppe konnte schon im letzten Sommer am Festival Les Suds à Arles das Amphitheater zum tanzen bringen. Hier in Marseille hatten alle Anwesenden schon ihre Tanzschuhe angezogen, als sie in die Docks zum Babel Music XP pilgerten. Und tanzen wollte man tüchtig.
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