Alle zwei Jahre findet in Altdorf das Festival Alpentöne statt. Dieses Jahr waren die Aushängeschilder nicht neue Formationen, sondern neue Projekte bekannter Interpret*innen.
Mit einer neuen Führungscrew startete Festivalleiter Pius Knüsel am 17. August ins Festivaljahr. Die diesjährige Ausgabe stand im Zeichen einer Idee: Jeder Festivalleiter, jede Programmdirektion steht vor der paradoxen Situation, dass «Neu» nicht zwingend interessierteres oder neues Publikum bedeutet. Denn neue Namen von Bands und Interpretinnen sind selten Publikumsmagnete. Konsequenterweise vergaben die Programmgestalter Kompositionsaufträge an bekannte Interpret*innen, bauten auf musikalische Ideen, auch rund um das Konzertprogramm.
Der Berichterstatter konnte nicht das ganze Festival über die Klänge unf und rund um den Lehnplatz in Altdorf verfolgen. Er pilgerte am späten Freitag-Nachmittag zum ersten Mal ins Theater Uri, und besuchte ein solches Projekt: Die rätoromanischen Sängerin Corin Curschellas und ihre Triada-Frauen luden den luzernischen Stimmen-Akrobaten Bruno Amstad zu einem Projekt rund um’s Wasser ein: «L’Aur Blau»
«Mut zur Kunst» kam mir in den Sinn beim Konzert der Rätoromaninnen. Den Rahmen der Konzepts gab einer der ältesten Legenden aus der Bündner Bergwelt. Auf einer Alp wohnte eine Fee, eine wunderschöne Frau. Der Hirtenjunge wollte allen im Tal unbedingt erzählen, was für eine schöne Frau er und der Senn als Gast beherbergten. Die Fee konnte es ihm seinen Plan nicht ausreden. Also vergrub sie ihn in einem Loch. Er bettelte um seine Freilassung. Doch kaum war er wieder frei, vergass er seine Versprechen und wollte wieder ins Tal absteigen. Da verfluchte sie ihn wegen seiner Wortbrüchigkeit und begrub ihn drei Meter tief. Als der erste Schnee fiel, verliess die Fee die Alp. Ihre Rache am untreuen Hirtenbub war gross. Sie liess den Brunnen vertrocknen, das Gras verdorren, die Kräuter zugrunde gehen.
Diese Geschichte diente als Klammer. Dazwischen reihten sich Gedichte, Geschichten und Melodien aneinander, immer mit der Vorgabe, Wasser in allen Aggregatzuständen zu besingen. Das konnten bekannte Melodien sein, oder auch Neu-Vertonungen bekannter Gedichte. So kam u.a. auch Herrmann Hesses Gedicht «Im Nebel» zu einer Melodie. Holy Water, eine eingestreute Gospel-Passage wurde zur Anklage gegen all jene, welche das Wasser verschmutzen, vergeuden und den Bedürftigen wegnehmen wollen.
Bruno Amstand wurde seiner Rolle als vierte Stimme, Trommler, Bassspieler und Sound-Einbringer vielfach gerecht. Er fabrizierte Übergänge zwischen den Jahreszeiten, resp. den Aggregatszuständen des Wassers.
In einer Passagedes Konzertes kam das Publikum in den Genuss einer Kurzlektion in Rätoromanisch, hörte, wieviele Ausdrücke es für Schnee gibt. Es gibt z.B. einen Ausdruck dafür, wenn der Schnee nur hauchzart auf den letzten Gräsern ruht, so «dass es gerade noch die Mäuse am Bauch kitzelt». Und man nahm auch diesen Wermutstropfen mit: Wie lange kennt, oder braucht, diese Ausdrücke noch jemand, wenn immer weniger Schnee fällt in den Bergen?
Zwei Konzerte folgten, die beweisen, dass man sich um die Zukunft der Schweizer Volksmusik nicht ängstigen muss. Zuerst auf dem Lehnplatz die Alpinis. Das ist das Hausorchester der Hochschule Luzern, dem Ausbildung Hot Spot der Schweizer Volksmusik. Sie brachten vor allem eigene Kompositionen mit, aber auch einige Stücke ihres Jahrgangsleiters, Andreas Gabriel (u.a. Ambäck), mit. Dessen Umgang mit den klassischen Bausätzen der Volksmusik trägt Früchte.
Da werden Harmonien und Strukturen aufgebrochen, es wird mit Dissonanzen experimentiert, andere Volksmusiken werden integriert . Herausgestochen sind in diesem Ensemble speziell die Sängerinnen – der Jodel als Melodie. Erfrischend.
Im Theater Uri kam ein weiteres Auftragsprojekt auf die Bühne. Aus allen Ecken der Schweiz – ja, auch aus dem Engadin dem Tessin, und dem frankophonen Wallis – hatten sich anfangs der Woche junge und ganz junge Musiker*innen getroffen. Sie folgten einer Einladung von Schweizer Radio SRF2. Im Gepäck eigene Kompositionen, Ideen, und vor allem „ viel Energie“, wie die künstlerische Projektbegleiterin Patricia Draeger beschrieb.
Innert vier Tagen entstand ein Programm, das nicht nur gespielt, sondern auch in einigen Passagen ziemlich knifflig arrangiert war. Zwei Bläser, zwei Örgeli, eine Gitarre mit Mandoline, ein Hackbrett, viel Enthusiasmus. Auch hier: frisch, manchmal gewagt, voller Enthusiasmus – und Können! Der Kommentar des ehemaligen Alpentöne-Leiters Johannes Rühl: sensationell! Wer möchte ihm widersprechen? Das Konzert mit den Jungen Talenten gibt‘s auf Play Swiss bis im August 25 zu sehen und zu hören.
In der Kirche St. Martin spielt unterdessen der Akkordeonist Vicent Peirani ein Solokonzert – unterstützt von der Akustik der Kirche. Der Musiker spielt nicht nr mit den Melodien und seinem Instrument, sondern auch mit dem langen Nachhall des barocken Kirchenraums.
Er liess sich auch nicht aus dem Klang bringen, als ihm urplötzlich aus der entgegengesetzten Seite des Kirchenschiffs die Trompetenklänge des «Stör-Trompeters» (im doppelten Sinne) Thomas Gansch zwischen seine mäandernden Kaskaden fielen. Beide Jazzer fanden sich denn auch gleich im intensiven Duett. Dieses dauerte eine Komposition lang, dann überliess der Trompeter seinen Akkordeonisten-Kollegen wieder seinem Instrument und dem Klangraum Kirche.
Der zweite Tag
Für den Berichterstatter begann er mit Arbeit, denn er besuchte eine Neuerung im Gesamtangebot des Festivals: Workshops – nicht nur zuhören, sondern selber lernen! Also lernte der Festivalgänger neue Tricks auf dem Trümpi. Und, nach einer kurzen Verschnaufpause, wie man «chlefelet» oder «löffelet». Er ist jetzt stolzer Besitzer eines Paars Ahornlöffel, die klingen schön hell. Das Besteck in der heimischen Schublade dankt ihm für diesen Kauf.
Dass dieses Angebot vom Publikum dankbar aufgenmmen wurde zeigt die Tatsache, das der ausgeschriebene Workshop mit Jodeln gleich drei Mal durchgeführt werden musste …
Das erste Konzert dieses Samstags im Theater Uri bestritt Manu Delago in Personalunion. Manchmal in mehrfacher Anwesenheit, denn der Schlagwerker und Perkussionist war mit gleich drei Bildschirmen und ebenso vielen Perkussions-Werkbänken auf der Bühne an der Arbeit. «Environ Me» der Titel seiner Konzeptarbeit.
Delgado der Bergmensch hat sich mit seiner Umwelt auseinandergesetzt. Hat über die Elemente Feuer, Wasser. Luft und Erde nachgedacht, hat die Elemente in Rhythmen verwandelt und in Bildern. Diese sind verknüpft mit Assoziationen über Themen wie Umwelt, Artenvielfalt, Energie.
Die Arbeit entbehrte nicht einer rechtenPortion Humor, z.B. wenn sich der Schlagzeuger dem Grundrhythmus von quakenden Fröschen, schnatternden Wiedehopfen anpasst und zum Wettbewerb um den kräftigsten Wirbel gegen einen eifrigen Specht antritt.
Es ist eine Parforce-Leistung des höheren Anspruchs: Volle Konzentration auf’s Spiel und gleichzeitig auf die Synchronisation mit den Film-Einblendungen.
Manchmal muss man wissen, woher ein Musiker kommt um seinen Bezug zu diesem Festival erahnen zu können. So geschehen mit dem Jazzpianisten Florian Favre. Seine Harmonien und Klangkaskaden sind eher in den Clubs der Grossstädte zuhause, weniger in den Bergen, den Alpen.
Doch dann spielt er den geheimen Ur-Hit seines Heimatkantons Fribourg an – die meisten kennen den Refrain: «Lioba», eigentlich heisst die Melodie «Ranz des Vaches» – und sofort macht es klick: diese Melodie lässt sich sogar auf die jazzigen Arpeddien eines Flügels transportieren, inkl. Humor und Charme des Interpreten. (Mehr dazu in einer älteren Ausgabe der Bauernzeitung).
Einen weiteren Kompositionsauftrag des Festivals Alpentöne brachten am Abend Eric Truffaz und seine Mitstreiter auf die Bühne. Den Truffaz ist nicht nur ein begnadeter Trompeter, sondern auch ein Liebhaber des Alpenisntruments par excellence: dem Alphorn.
Gleich vier Hörner gleichzeitg waren auf der Bühne zu hören – ein wahrhaftig alpenländisch-jazziger Bläsersatz .
Noch nicht erzählt ist die Geschichte der Zweiteilung des Festivals Alpentöne. Denn während im Theater Uri, oder in der Kirche St. Martin, die konzertanten Aufführungen vor sehr viel Publikum stattfanden, feierte Altdorf «sein» Volksfest auf dem Lehnplatz.
Hier spielten tagsüber beliebte und bekannte Ländlerformationen wie das Quartett Claudia Muff,
Jungformationen wie Parniggel,
oder gestandene Interpret*innen wie Christine Lauterburg und ihr Ensemble Doppelbock.
In den Abendstunden holten Bands wie Cheibe Balagan
oder Suma Covjek ihr Publikum von den Bänken.
Wer nach diesen Konzerten noch nicht heim wollte, fand noch diverse Beizen, an denen an Stubeten bis in die Morgenstunden musiziert und gefeiert wurde. Drum freuen wir uns auf das nächste Festival im August 2025.
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