Ein norwegischer Pianist, eine marokkanische Sängerin, ein algerischer Geiger, Gedichte, die beinahe 1000 Jahre alt sind, produziert für das ECM-Label – das sind die Eckpfeiler einer ergreifenden Klangreise.
Weder ist es Jazz, noch ist es Musik-Ethnologie, obwohl beide Elemente in den Kompositionen zu finden sind. Jon Balke betont, dass es sich bei den Aufnahmen in keinster Weise um traditionelles Material handelt. Aber sowohl Komponist wie Sängerin bauen auf musikalischen Techniken, die aus der Zeit zwischen dem 8 Jhd. und dem 15 Jhd. stammen, als die iberische Halbinsel arabische Herrscher hatte und den Namen Al Andalus trug. Von hier ausgehend entwickelten sich in beiden Kulturen unterschiedliche Musiktraditionen, mit einer Gemeinsamkeit: Ein Teil der Stücke ist jeweils vorgegeben, der andere Teil ist Improvisation. Bei uns in Europa ist diese Zeit eine der Hauptquellen für die gesamte Musik des Barock.
Es ist auch Jazz. Wer Manfred Eicher und seine ECM-Welt kennt (mit u.a. Weltmusikern wie Dino Saluzzi, Anouar Brahem oder Jan Garbarek) kennt die Handschrift. Aber es ist weder Jazz mit arabischen Melodien, noch arabische Rhythmen mit barocken Harmonien. Jon Balke beschreibt die grundsätzliche Zusammenarbeit mit der Sängerin Amina Alaoui so:
„Amina sent me a lot of music and I spent a long time working on that… I went to Granada, presented her with the first versions of the music. And she was very definite about avoiding the clichés of Arabic music, so I had tried to make a kind of wide palette of different suggestions, and she very clearly took some and rejected others. I was very happy for that – no polite acceptance of something that wouldn’t work for her.“
Interview Steve Hochman für Spinner
Neben dieser Kernarbeit zwischen Komponist und Sängerin nutzte Balke sein weites Netzwerk: Das Ensemble Barocksolistene, der Perkussionist Helge Norbakken (auch in der Band von Kari Bremnes zu hören), der Jazztrompeter Jon Hassell, der Zarb-Virtuose Pedram Khavar Zamini und der Geiger Khei Eddine M’Kachiche kamen zusammen. So entstand ein ätherischer Klangraum mit Bodenhaftung. «Siwan» heisst in der einst gebräuchlichen Umgangssprache Aljamiado «Gleichgewicht», «Balance».
Die Nahtstelle zwischen arabischer und europäischer Kultur ist ein Ort voller Gemeinsamkeiten. Schön, dass einem das immer mal wieder zu Ohren gebracht wird. «Siwan» ist eine CD, die Zeit verlangt – gönnen sie sich diese Auszeit!
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