Wilde Balladen gab’s zum Abschluss der diesjährigen Ausgabe von Glatt & Verkehrt in Krems an der Donau. Und wild fuhr auch das Programm im Zickzack: Von brüchigen, tief-unglücklichen Falsett-Tönen aus Belgien über Babuschka-Polka aus Moskau bis zum wahnwitzigen Zirkuszauber von Italiens Vinicio Capossela. Eine Achterbahn der Melodien mit einem grandios theatralischen Abschluss.
Pathos und Fröhlichkeit
Frederic «Lyenn» Jacques aus Belgien zelebriert seine Songs. Mit hängenden Akkorden, viel Pathos und brüchigen Tempi malt er verlorene Seelen-Landschaften. Haupt-Pinsel ist seine Falsett-Stimme, die sich scheinbar immer im letzten Moment entscheidet, ob sie brechen, oder noch weiter aufsteigen will. Ich erliege der Versuchung, die Musik so zu beschreiben: Sigur Ros treffen Tindersticks und Bonnie Prince Billy, um am Grab des späten Jim Morrison alle Wehmut, jeden Herzschmerz und sämtliche Hoffnung in einem teuern Whiskey zu begraben.
Die umgekehrte Stimmung gab’s dann mit Peter Nalitch. Der hatte gleich seinen Fanclub dabei, oder war es die Moskauer Diaspora aus Wien? Wie auch immer: Russische Herzschmerz-Melodien, vorgetragen mit einem tragenden Bariton und dem Pathos eines Chris de Burg, dazu ein verträumt unschuldiges Lächeln – was braucht es mehr um (vor allem) die Herzen der Frauen zu erobern? Über die Dauer des Konzertes machte sich zwischen Schunkel-Nummer und Sehnsucht-Ballade doch etwas Langeweile breit, denn viel ähnlich Gestricktes gibt noch kein spannendes Repertoire. Diese Stimme bräuchte noch gutes Songmaterial.
Der Dompteur, der sich selber zähmen muss
Vinicio Capossela, Cantautore aus Norditalien, tritt in seiner aktuellen Show als Zirkusdirektor auf. Und er stürzt sich auch gleich selber in fast alle Rollen. Was das Stück verlangt, wird nicht nur besungen, sondern auch gleich dargestellt: Vom Cowboy zum römischen Helden, vom Militär zum Entertainer. Über das Leben der Strümpfe sinniert er am kleinsten Piano nördlich des Mittelmeer. Und gegen Ende liefern sich gar archetypische Geister einen wilden Kampf im Inferno von scheppernden Tönen und wildem Gesang.
Begleitet von einer in allen Tonskalen gewaschenen Band schlüpft Vinicio von einer Rolle in die andere. Er sucht mal die leisen, mal die rabiaten Töne, kennt sich ebenso gut aus aus im Schmelz der Balladen wie im Schmirgelsound des Rumpel-Rock à la Tom Waits. Dass ausgerechnet das Arrangement seines Uralt-Hits «Che Cosse’ l’Amor» aus den Fugen gerät ist vielleicht nicht nur Zufall. Überwältigt von Zaubertricks, Musik wie aus einem Fellini-Film, Feuerzauber, Tumult und leiser Philosophie gab es in Krems einen lange anhaltenden Applaus, und viele glückliche Gesichter.
Die Infos zum Festival sind hier zu finden, die Audio-Slideshow zu den andern Konzertabenden sind hier: Mittwoch, Donnerstag, Freitag, und Samstag.
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