Griechische Lebensfreude, Bamako trifft Barcelona, vier Ausnahmeinstrumentalisten und eine spanische Diva gab’s in Les Suds, à Arles.
Fangen wir mit jenen Konzerten an, die ich verpasste, oder die vor übervollen Rängen stattfanden. Es gab z.B. kein Durchkommen zum Konzert von Batsükh Dorj und Johanni Curtet.
Dorj kommt aus Tuva, und beherrscht neben der Pferdekopfgeige auch das ganze Repertoire zwischen Kehlkopf- und Obertongesang. Der Magnetismus dieser Gesangskunst war so gross, dass die Croisière aus allen Nähten platzte. Diese Morgenkonzerte sind jeweils gratis, und sehr beliebt. Der kurze Auftritt bei der alltäglichen Programmvorschau zeigte: ja, da habe ich was verpasst.
Auch musste ich für das Konzert von Rusan Filiztek passen. Den Kurden und seine Saz hätte ich gerne gehört, denn in seinem kurzen Intermezzo am Mittag zeigte er, dass man auch auch mit diesem eher stillen Instrument gut abrocken kann. Auch die Tapping Technik eines Eddie Van Halen macht sich auf dem schmalen Griffbrett bestens. Schade. (Spotify)
Griechische Party mit Deli Teli war am Spätnachmittag auf der Place Voltaire angesagt. Tsifteteli Musik, urspünglich die Hitmusik in den 60zigern im Mittelmeerraum, und insbesondere in Marseille. Tsifteteli ist ein Rhythmus, der unweigerlich in die Knie geht.
Viel Schlagzeug, steter Bass, riffelnde Bouzouki, ein leicht schmieriges Örgeli und dramatische Melodien entwickeln einen nostalgische, etwas betrunkenen Sound. Und um was drehen sich die Lieder? Keyboarder Arthur Bacon definierte die Songs so: «Es sind griechische Liebesgeschichten – die meistens schlecht enden.»
Spotify
Rokia Koné aus Bamako, eine gefeierte, junge Stimme aus Mali, und Raül Refree, Produzent und Klangweltenbauer aus Barcelona. Zwei Welten, ziemlich weit auseinander und doch gemeinsam auf der Bühne. Was in den ersten zwei Nummern noch ein leises Abtasten war – das Projekt ist erst wenige Konzerte alt – entwickelte sich über die Zeit zu einem echten Miteinander.
Raül legte mit seinen Akkord-Kaskaden auf dem Flügel grossflächige Soundlandschaften, über die Rokia Koné improvisieren konnte. Sie liess es sich auch nicht nehmen, mit einem charmanten Mix aus ein paar Worten in Französisch und Bambara, ihrer Muttersprache, ihre Songs zu moderieren. Als sich die beiden dann im Repertoire nicht einig waren – die Sängerin musste ihren Pianisten korrigieren, dass jetzt nicht sein Lieblingssong, sondern erst ein anderer auf der Songliste stand – war das Eis gebrochen, alles wurde etwas lockerer, Musik und Präsentation.
Es gab wenig rhythmische Musik, ganz bewusst. Wie Raül im Interview sagte, wollten er und Rokia kein afrikanisches Rhythmusprojekt machen: «Das können andere besser.»
Les Egarés: Ein Erlebnis, wie es eben nur die Live-Situation bietet. Momente voller Intensität und musikalischer Autorität. Erstaunlich, wie sich grandioses Können und Konzentration auf das Zusammenspiel auf die Aufmerksamkeit des Publikums auswirken. Das antike Theater in Arles war bis auf den letzten Platz besetzt.
Vincent Peirani, Ballaké Sissoko, Vincent Segal und Emile Parisien schafften es, ihr Publikum bis in die leisesten Töne mitzunehmen, in minutenlange Kaum-Hörbarkeiten. Das ganze Halbrund hörte mit derselben Hingabe zu, wie es die vier Musiker auf der Bühne praktizierten.
Im Vergleich zur CD sind die Stücke gewachsen, haben Volumen bekommen, Muskeln angesetzt. Die beiden Duos spielen ihre jeweiligen Spezialitäten aus: da die beiden älteren, Sissoko und Segal, sie stehen für Bodenhaftung und Stetigkeit. Die jüngeren, Peirani und Parisien, gehen Risiko ein. Wobei auf dieser Höhe des Handwerks ist dies wohl nicht mehr wirklich existent, sondern wird zum Spiel mit den Fähigkeiten. Ein spannendes Konzert, nicht reich an kompositorischen Neuheiten, aber in der Erfahrung von Musik.
Ein Beispiel: Ganz zum Schluss des Konzertes setzte das Publikum dazu an, die Melodie des Gassenhauers „Esperanza“ mitzusingen. Sogleich bogen die Vier in die Endschlaufe der Melodie ein, Coda, fertig. Nach so einem Konzert braucht es keine Chorstunde mehr.
Jetzt urteile ich etwas aus dem Bauch heraus: das Konzert von Sílvia Pérez Cruz stimmte mich sehr zwiespältig. Damit stehe ich im Widerspruch zu den vielen Hunderten, welche das Konzert verfolgten und frenetisch feierten. Es liegt auch nicht am Handwerk aller Musiker, inkl, der Chefin. Nur ist hier eine Kontrollnatur am Werk, welche ihre Lieder zwischen Flamenco, Son, und neuer Klassik angesetzt hat, aber vor allem mit viel Pathos und Bombast ausstaffiert.
Die Mitmusiker wirken zuweilen wie Marionetten: Frau Cruz dirigiert sie, wann immer sie eine Hand frei hat, damit auch alle und alles so atmet, wie die Komponisitn es geschrieben hat, und im Moment gerne interpretiert hätte. Bis ins Detail choreographiert. Gegängelt. In vielen Passagen klingt es wie eine Oper für eine Solistin, und das wirkt auf die Dauer etwas ermüdend.
Die Ränge leerten sich denn auch nach zwei Dritteln des Konzertes zusehends. Den Berichterstatter hielt es auch nicht mehr vor Ort.
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