Gesungene Rebellion, eine tiefe Verbeugung vor einem Zarb-Meister, mit Pop in die Dämmerung und mit Yoruba-Jazz in die Nacht – der Donnerstag bei Les Suds, à Arles.
Die Folk-Tradition im Süden Frankreichs ist reichhaltig und vielfältig. Das nimmt man bei uns im deutschsprachigen Norden kaum wahr. Ein Beispiel gab’s schon zum Einstieg in den Konzerttag mit Tant Que Li Siam.
Gesammelte Gedichte neu vertont, bekanntere Melodien neu arrangiert für vier Stimmen und Perkussion.
Die Lieder haben eine gemeinsame Klammer: es sind Geschichten von Widerständlern, von Rebellen, vom Aufbegehren. Muss es denn immer um Helden gehen?, fragte ich im Interview.
Mickaël Portalès antwortete: «Es geht vor allem um die kleinen Helden. Leute, die ihr Leben selbstbestimmt leben wollten. Es geht in vielen Liedern um Menschen, die sich weigerten, sich hinter einem Leittier in der Herde einzuordnen. Und, wenn’s dumm läuft, mit der Herde in den Abgrund zu stürzen.» Womit belegt wäre, dass alte Folksongs durchaus eine Aussage für’s Heute vermitteln können.
Mit einem seiner aktuellen Projekte war Manu Théron aus Marseille zusammen mit seinem Partner Damien Toumi als Duo Lavoà Lapo angereist. Der Hansdampf in allen okzitanischen Gassen der Region verlegt sich für einmal nicht in der Vermittlung von altem Liedgut, sondern arrangiert Gedichte und Rhythmen zu neuen Klangbildern.
Er dröselt die Texte dadaistisch auf. Die entstanden Silben dienen dann als perkussive Einheiten, und werden im rhythmischen Wechselspiel der beiden Sänger zu einem irrwitzigen melodiösen Sprachspektakel.
Verwandt, aber klanglich ganz anders das Frauen Quintett La Mossa am späten Nachmittag im Quartier Voltaire. Auch a capella, auch mit Trommelbegleitung, aber vor allem der melodiösen Vielfalt verpflichtet. Gute Stimmen, gut arrangiert, keine drängt sich vor, alle dienen dem Gesamtklang.
Ich bemerke, dass ich dazu neige, am vierten Tag dieses Festivals viel schneller in die Kritik-Schublade zu greifen, als noch zu Beginn. Ja, es gäbe dies und das zu bemängeln – Setlist-Aufbau, Präsentation, Sound-Mix – nicht am Singen. Fünf Frauen mit Stimmen und trommelnder Schlagkraft.
Spotify
Hommage à Djamchid Chemirani
Am ruhigsten Konzert des Abends galt es, sich von einer trommelnden Legende der Zarb – in unseren Breitengraden als Tombak bekannt – zu verabschieden: Djamchid Chemirani. Seit 1961 lebt er in Frankreich und hat sein Instrument von der Begleitfunktion gelöst, zum Soloinstrument gemacht. Dies gelang ihm nicht nur durch hohe Handwerkskunst, sondern auch durch Kontakte in die Theater-, Film, und Jazz-Welt. Seine Kunst hat er an alle seine Kinder weiter gegeben. Nun macht er sich daran, auch aus gesundheitlichen Gründen, sich ganz in den Hintergrund zurückzuziehen, seine Zarb weiter zu geben.
Auf der Bühne sass also der Patriarch, seine beiden singenden Töchter Maryam und Mardjane, die beiden Söhne Bijan und Keyvan, beide hervorragende Perkussionisten. Ersterer zusätzlich ein Könner auf der Saz, letzterer ein Meister der Santour. Dazu gesellten sich Gäste: der Flötist Sylvain Barou und der Koraspieler Ballaké Sissoko.
Die Hommage an den Patriarchen ging teilweise auf. Ursprünglich wollte er nur Gedichte rezitieren, doch die ersten drei Stücke spielten Vater und Söhne zusammen. Es waren drei Stücke aus der letzen gemeinsamen Produktion «Dawâr» (Spotify). Bei den weiteren Nummern schnippte und klöpfelt er durchwegs mit seinen Fingern auf’s Sitzkissen.
Das Programm war nicht speziell zusammen gestellt, sondern über weite Strecken die Songliste der, von Keyvan arrangierten CD «Hal, Ballades Amoureuses (Spotify). Die Musiker*innenliste ist fast identisch mit den auf der Bühne anwesenden *Interpret*innen. Den meisten Gästen im Publikum war dies wohl nicht bekannt, aber für eine echte Hommage an den Zarb-Meister war’s fast ein bisschen zu wenig.
Spotify
In der Dämmerung begann das Antike Theater im Pop-Glitzer-Scheinwerferlicht zu funkeln. Liraz tanzt auf zwei ganz unterschiedlichen Ebenen. Zum einen setzt sie sich mit viel Engagement für die Sache, resp. die Freiheit der iranischen Frauen ein.
Auf der anderen Seite ist sie eine Pop-Musikerin aus der Glitzermetropole Los Angeles. «Let’s dance like there’s no tomorrow» hat genau so viel Gewicht, wie «Freedom For Iranian Women». Die beiden Seiten passen schwerlich auf dieselbe Münze, doch Liraz hält die Balance.
Zu hören gibt’s Diskomusik, vorgetragen von einer routinierten Truppe, die etwas müde ist von einer langen Europa-Tour. Morgen gehts zurück in die USA, resp. Israel. Etwas zu betont stampfende Pauke, durchschreddernde E-Gitarre, etwas viel arabisch angehauchtes Orgel-Geschwurbel. Aber die Formel funktioniert: Lasst uns Party feiern, und trotzdem nicht vergessen, dass da draussen in der Welt nicht alle mitfeiern können.
Spotify
Ganz andere Klänge gab’s nach dem Bühnenumbau vom israelischen Jazz-Bassisten Avishai Cohen und seiner Jazz-Latin Banda. Angeführt von Abraham Rodriguez jr. hatten die Rhythmiker viel Yoruba Grooves auf Lager, Sänger und Instrumentalisten viel Jazz, und volle Solisten-Freiheit.
Mehrschichtige Rhythmus-Strukturen, aber auf einem sehr geerdeten Grundgroove in der Tradition der Cantos der Santeria-Glaubensgemeinschaft. Darüber werden von den Instrumenten andere Tempi gelegt. Und weil’s so sehr Spass macht, werden darüber noch Hitmelodien gespannt. Aus dem amerikanischen Liederbuch z.B. «Exodus», «Venus» oder «Fly Me To The Moon». Oder James Brown und sein «It’s a Man’s World», wunderbar verfremdet und rhythmisch verzogen.
Die CD kann gestreamt werden (Spotify). Die Aufnahmen sind jedoch ein ziemlich braver Abklatsch von dem, was auf der Bühne geboten wurde. Melodische Ausflüge, Können, Witz und Ungebundenheit bis zum Risiko. Angekündigt war das Konzert als Musik, so wild und abenteuerlich wie New York.
Und so war es denn auch: Ein Klangbild im Klangbild im Klangbild. Oder um in der New York Analogie zu bleiben: Unten die U-bahn, darüber Taxis und himmelstürmende Soli, und weit oben die Flugzeuge in alle Welt. Hier wurde geerdeter Jazz als festfreudiges Ritual zelebriert.
Spotify
Schreibe einen Kommentar