Les Suds, à Arles – 1. Konzerttag

Perrate live @ les Suds, à Arles 2023Aus Italien und Spanien kamen die ersten Musiker an’s «Les Suds, à Arles». Mit Stimmen voller Emotionen.

Wie es hier bei Les Suds, à Arles Tradition ist, werden die Künstler*innen des Abends jeweils Mittags in lauschigen Innenhof des Espace van Gogh mit einigen Worten, und mit einem oder zwei Liedern vorgestellt. An diesem lockeren Mittags Rendez-vous werden auch die Verknüpfungen mit den anderen Kulturinstitutionen der Stadt deutlich.

Duo Ruut

So wurde das Duo Ruut (Spotify) auch eingeladen, weil gleichzeitig der Film «The Singing Revolution» am Festival gezeigt wurde. Dieser dokumentiert, wie stark in Estland die Gesangs-, die Chortradition ist, und welche Rolle diese Gesänge, das gemeinsame Singen, in der Zeit nach dem Zerfall der UdSSR für die junge Demokratie spielten. Ein Film über eine ersungenen Revolution.

Als erstes Konzert des Tages stellen sich nach diesem Programm Rendez-Vous jeweils Musikerinnen aus der Region vor. Interpreten, die oft eine Migrationsgeschichte in ihrer Biografie haben. So auch das Duo Rosha: Beide Musiker*innen sind 2018 vor der iranischen Repression geflüchtet, und leben jetzt in Frankreich. Ihr Repertoire ist eine Mischung aus Erinnerung, Klage und Hoffnung.

Für viele Besucher*innen war vor dem Konzert vor allem eines wichtig: einen Liegestuhl zu ergattern, oder zumindest Schatten zu finden. Denn die Temperaturen näherten sich der 37-Grad-Marke.

Es gab an diesem Eröffnungsabend eine einzige, zeitliche Überschneidung von zwei Konzerten im Festival-Programm: Das Duo Ruut, oder die Ritual-Gesänge des Kalabresen Davide Ambrogio. Ich entschied mich für letzteres. Davide ist ein Unikat. Er stammt aus einer zutiefst ländlichen Gegend Kalabriens – «aus einem Dorf mit etwa so vielen Bewohnern, wie mir hier gerade zuhören», also etwa 250.

Für Davide ist das Alltagsleben voller kleiner Rituale, Anrufungen, die er in Text und Melodie transponiert. So gibt es ein Lied gegen die Krankheit, ein Lied gegen soziale Ungerechtigkeit oder eines mit der Aufforderung, mehr miteinander zu sprechen. Eines seiner stärksten Lieder, «A San Michele» ist gleichzeitig ein Trauergesang über den Verlust eines Vaters, und Kampfgesang gegen die Mafia Kalabriens, die N’drangeta.

Davide Ambrogio begleitet seine Lieder mit Dudelsack, Gitarre – auch unkonventionell geschlagen statt gezupft – Flöte, Gesprächsaufnahmen aus dem Rechner oder der Rahmentrommel, und choreografiert die Töne über eine Loopstation. Ein dichtes Klanggewebe, eine eindringliche Stimme und die fast schamanische Ausstrahlung des Musikers entwickeln eine grosse Sogwirkung. Einzig für ein Wiegenlied erhält Davide Unterstützung durch Valeria Taccone.

So in sich gekehrt Ambrogio während des Konzertes auch war, in der Zugabe entwickelte er Show-Talent. «Ich singe so gerne, und spiele gerne Dudelsack. Beides zusammen geht nicht. Ihr seid jetzt mein Dudelsack», kündete er seinem Publikum an.

Er liess die Besucher*innen einen Zweiklang singen – im Loop – und improvisierte darüber. Bis er dann singend und lachend, und unter grossem Applaus, die Bühne verliess.

Spotify

Zaungäste im Innenhof des Museon Arlatan

Der zweite Teil des Abends gehörte Perrate, einem wandlungsfähigen, und vor allem vielseitig interessierten Flamenco-Sänger aus Andalusien. Seine Flamenco-Interpretationen verlassen das traditionelle Territorium.

Das merkt man bereits an der Aufstellung seiner Band: Ein Perkussionist mit grossem Schlagwerk, ein Keyboarder der auch zum E-Bass greift, und in der Mitte der Sänger Perrate, in engem Kontakt mit seinem Gitarristen Paco de Amparo.

Auf dem Programm steht sein aktuelles Album «Tres Golpes» (Spotify). Es ist ein Album, das einerseits tief in der Tradition verwurzelt ist, andererseits in der Produktion von Raül Refree eine klangliche und rhythmische Verfremdung erfährt. Refree hat in den letzten Jahren vielen Musiker*innen aus dem iberischen Raum (Rosalia, Lina) ein neues Klangkleid angepasst. Was auf dem Album noch etwas zu wenig locker, zu sauber produziert daher kommt, erhält in der Live-Situation Biss und Witz.

Im Zentrum steht der Sänger, eng begleitet von seinem Gitarristen. Er führt sein Publikum durch ganz unterschiedliche, mehrheitlich traditionelle Stile, interpretiert u.a. auch sephardisches Liedgut. Keyboarder und Schlagwerker sind unauffällige, aber hochwirksame Rundum-Begleiter. Und Perrate selber ein begnadeter Entertainer.

Er hat eine Stimme, die manchmal in die Nähe der mongolischen Kehlkopf-Techniken rutscht, erzählt seine Geschichten fast mehr, als dass er sie singt. Wenn der Verdacht auf zu viel Tiefe, zu starke Emotionen auftaucht, bricht Perrate die Schwere, bringt Schalk und Witz in seine Interpretationen. Das Publikum dankt es mit anhaltendem Applaus.

Die Zugabe, ein Fandango-Gassenhauer, singen die vier a capella – und virtuos. Und machen sich dann von der Bühne, wie eine Gruppe Jugendlicher, die singend und klatschend nach Beizenschluss noch durch die Gassen der Altstadt ziehen.

Die Jugend von Arles trifft sich nach Konzertende jeweils im Club Croisière. An diesem Montag mit dem Mix von M.Oat. der Führt die Tänzer von der Karibik nach Afrika, und über die Inseln im indischen Ozean wieder zurück in die Karibik.

Übersicht Les Suds, à Arles 2023

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