Balkan-Tunesischer Electro-Mix, 100% Pop – analog (!), kurdische Gedichte im Rock, und Maloya digital – das Programm des fünften Konzertabends am Les Suds, à Arles.
Auf der Place Voltaire standen am späteren Nachmittag Fanfara Station. Sie sind im Moment eine der härtest-arbeitenden Tour-Bands in Europa. Seit rund einem Jahr, seit dem Release von «Boussadia», scheinen sie ständig unterwegs zu sein.
Das hat ihre Songs kompakt werden lassen. Und sie sind flexibler geworden im Umgang mit ihrem Publikum. Wo sie früher vielleicht mehr auf ihr Können und den Volumenregler setzten, nimmt das Trio heute sie Stimmung des Publikums auf, ist viel direkter auch in der Bühnenkommunikation.
Damit erreichten sie an diesem Abend etwas, was ich auf diesem Platz in diesem Jahr noch nie erlebte: drei Zugaben wurden herausgeklatscht. Chapeau.
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Nach dem Balkan Tunesien Südstaaten Mix feierte das Publikum im Antiken Theater den französischen Pop. Das Trio SR9 aus Paris, alle drei diplomierte Perkussionisten, hatte eine Konzept-Idee: angesagte Popsongs auf die rhythmischen Strukturen zurück-konstruieren, und die Melodien von bekannten Sängerinnen und Sängern interpretieren lassen. Titel der Produktion: Déjà vu (Rezension).
Das Wagnis lohnte sich, die Produktion fand, nicht nur in den Radios, grossen Anklang. Der Erfolg führte zu diesem exklusiven Konzert. Das Trio SR9 konnte die Crème der französischen Pop-Welt an die Mikrofone einladen: La Chica, Flèche Love, Sandra Nkake, Camille, Malik Djoudi und Barbara Pravi.
Es war ein gigantischer Materialaufwand: vom Riesenxylophon über sämtliche vorstellbaren Trommeln, Perkussion-Fundstücken aus vielen Reisen, bis zur Glasharfe: «Wir haben die Küchenschränke unserer Grosseltern geplündert». Und mit einem Repertoire, das jeder und jede Radiohörer*in kannte und mitsummen konnte – obwohl die Songs sehr geschickt neu arrangiert waren.
100% Pop, und dies in einer äusserst sensiblen und intelligenten Umsetzung. Und mit Stars, die bei den Solisten-Auftritten ihrer Kolleg*innen jeweils in die Chor-Rolle zurücktraten, sich gegenseitig unterstützten. Die drei Perkussionisten waren in Hochform, spielten präzise, kraftvoll, klangbewusst. Dieses Konzert war eindeutig das intelligente Pop-Highlight des diesjährigen Festivals.
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Der letzte Konzertabschnitt des Abends führte in einen Park an den Aussenrändern der Altstadt von Arles. Das Meral Polat Trio ist in den letzten Konzertmonaten durch viele Auftritte an Festivals (u.a. Babel Music XP, Musiktage Stans) zusammengewachsen.
Die Frontlady Meral Polat ist bluesiger geworden. In die mehrheitlich zornigen Songs mischen sich auch feinere Töne, u.a. ein Lied, das sie noch von ihrer Grossmutter aus Anatolien mitgenommen hat.
Die beiden Sidemen Chris Doyle (keys, git) und Frank Rosaly (dr) kennen mittlerweile die Songs bis in die Atemzüge der Sängerin. Viel kompakter kann man in der Indie-Welt wohl kaum auftreten.
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Zum Abschluss des Abends: Maya Kamaty. Maloya erwarteten die meisten, erhielten ihn aber nicht, oder nur in Dosierungen. Stattdessen gab es die Möglichkeit zu hören, was aus dem Maloya entstehen könnte. Denn von der Direktheit des Maloya, vom Austausch mit dem Publikum, ist fast nichts mehr da. Die aktuelle EP Sovaz macht den Klangwandel der Sängerin deutlich.
Ein Monster von Schlagzeug beherrscht die Bühne. Soundlandschaften, abgerufen aus dem Rechner, beherrschen den Bühnensound. Die Gitarristin Mathilda Heynes lässt Riffs und kurze solistische Einwürfe aufblitzen, geht jedoch in der digitalen Klangwolke unter. Alles wirkt künstlich, überschichtet, die Backingtracks sind ziemlich pompös produziert.
Nach zwei, drei Songs setzt Maya Kamaty das Tempo einen Gang zurück. Statt hartem Rap klingt dann die Herkunft der Musik, La Réunion, an. Kaum aber sind Sängerin und Groove im analogen Alltag angekommen, verschwinden Melodie und Nähe wieder, werden dem digitalen Fleischwolf zum Frass vorgeworfen. Weil ich mittlerweile aus vielen Interviews weiss, dass der Maloya vor allem das ist, was der/die Interpret*in daraus macht, zweifle ich etwas an dieser Zukunft des Maloya.
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