Über das Afropfingsten-Festival 2019 zu berichten heisst gleichermassen erfreut zurückzublicken, und etwas enttäuscht zu sein.
Ich muss vorausschicken, dass ich nicht das ganze Festival über in Winterthur war, sondern nur an drei Konzerttagen. Meine Rückschau ist also stückhaft. Ich kann jedoch sagen dass es seit langem wieder eine Afropfingsten-Ausgabe war, die mich, aus einem musikalischen Blickwinkel gesehen, überraschte, ja begeisterte.
Eine Frage, die sich auch nach vielen Gesprächen nicht beantworten liess, bleibt jedoch: Warum lassen sich nicht mehr Leute für eine so spannende und qualitativ hochstehende Konzertreise begeistern? Denn für die Veranstalter resultiert nach der diesjährige Ausgabe wohl ein hohes Defizit. Doch lasst mich berichten, was ich sah und hörte:
Donnerstag, 6. Juni
Les Tambours de Brazza
Ich erlebte diese Truppe zum zweiten Mal – das erste Mal war 1998 am Paleo-Festival in Nyon. Heute taucht das Trommelensemble – mit Bass und Gitarre als Schubkraft im Hintergrund – mit weniger Personal auf. Viel Show und Tanz, aber doch nicht so viel, dass die handwerkliche Präzision darin unterzugehen droht. Trotz Spektakel präzise Trommelkunst.
The Garifuna Collective
Die Truppe aus Honduras und Belize überzeugte mit einem soliden Repertoire. Natürlich waren viele Nummern dabei, die schon ihre Produktionen mit Andy Palacio, Umalali oder die bisher einzige Eigenproduktion «Ayo» ausmachten: Rhythmisch abwechslungsreich, gekonnte Mehrstimmigkeit und Melodien zum mitsummen. Neu war – für meine Augen – eine Tanzeinlage: ein Jankunu Tanz. Gerne hätte ich etwas mehr Songs aus dem neuen Album gehört. Das wird Ende Monat bei uns eintreffen – so die musikalischen Produktionsgötter uns gnädig sind.
Sonntag, 9. Juni
Kanazoé Orkestra
Die Frontline aus Burkina Faso, die Backline aus Europa – das Kanazoé Orkestra hatte mit seinem Album «Tolonso» hohe Erwartungen geweckt. Sie wurden zum Teil erfüllt. In der Live-Situation ging ein Teil der Dynamik aus den Studioaufnahmen verloren. Seydous Virtuosität auf verschiedenen Balafons – die auch blitzschnell auf der Bühne ausgetauscht wurden – war beeindruckend. Augen- und ohrenfällig auch der der musikalische Joker, Mamadou „Madou“ Dembélé: Virtuosität auf Balafon, Flöte und Kora.
Bassekou Kouyaté & Ngoni Ba
It’s a family affair: Die Familie Kouyaté (und zugewandte Orte wie der Perkussionist Mahamadou Tounkara) ist eine eingespielte Truppe. Für die Setliste kann Bassekou mittlerweile auf Songs aus fünf Alben zurückgreifen. Diese mischt er auch grosszügig, greift nicht nur auf sein aktuelles, ruhigeres Album «Miri» zurück, sondern heizt dem Publikum mit rockigen Riffs zünftig ein. Ami Sacko ist die strahlende Stimme der Truppe – sie wird immer besser! – und Mamadou am Bass-Ngoni hat sich freigespielt. Seine Mitarbeit bei Trio da Kali hat ihm Virtuosität und Selbstsicherheit verliehen – jetzt singt er auch; gut so.
Coralie Hérard
Die junge Haitianerin mit dem Flair für Jazz und Soul pflegt auch das heimatliche Songbook. Natürlich dürfen da im Repertoire Perlen wie «Peze Café» nicht fehlen. Coralie war so was wie ein singender, roter Faden durch das gesamte Festival: Sie trat auf den kleinen Bühnen auf dem Markt auf, auf den Bühnen bei der Reithalle, und wenn es draussen mal wieder regnete eben auch zwischen Kinderwagen und Mittagessen. Eine kräftige Stimme und eine Performerin, die es wissen will.
Tal National
Die Gitarrentruppe aus dem Niger machte es sich etwas zu leicht. Schiere Gitarrenpower reicht nicht, um die Zuhörer echt zu begeistern. Auch war der Sänger nicht wirklich gut bei Stimme. Habe die Band schon motivierter erlebt, z.B. an den Stanser Musiktagen 2016.
Benin International Musical BIM
Ich hatte Bedenken, die spätestens nach dem ersten Drittel des Konzertes wegschmolzen. Ein Projekt, zusammengefügt von einem französischen Produzenten, mit Musikern aus ganz unterschiedlichen Musikszenen Benins, unter dem Patronat von Fernseh-, Print- und Radiohäusern – kann das gut gehen? Es kann und tut!
Die Truppe startete mit viel Vaudou-Rhythmen und Rap, doch dann setzte Chorgesang ein, eine Art Ur-Gospel war zu hören. Viel Energie steckt in den Songs von BIM. Nach einem guten Jahr Vorbereitung bringt die Band auch Dynamik auf die Bühne, begeistert. Es ist das erste Mal, dass die Konzertgänger aus dem Häuschen geraten. Wer jetzt in der Halle ist nimmt eine gute Erinnerung mit nachhause. Von dieser Band ist noch einiges zu erwarten!
Mory Kanté
Auf die Hochstimmung mit BIM folgte ein etwas fader Auftritt des Altmeisters aus Guinea. Die Songs plätscherten vor sich hin. Mory Kanté versuchte auf jugendlich zu machen – solches gelingt fast nie, schade. Eine etwas motiviertere Truppe, und er in der Rolle des Grandseigneurs, der seine jungen Musiker portiert, das wäre eine bessere Mischung gewesen.
Montag, 10. Juni
Das Wetter meinte es wahrlich nicht gut mit dem Festival, es goss über weite Strecken wie aus Kübeln. Wer sich jetzt noch entschied, doch an ein Konzert in die Reithalle Winterthur zu kommen, musste den grossen Schirm aufspannen und Stiefel anziehen. Doch es lohnte sich:
Marema
Die Songwriterin aus Dakar wird manchmal als Tracy Chapman aus dem Senegal bezeichnet – davon war nichts zu hören. Rockiges und Souliges war angesagt. Die Band tat alles, um der Frontfrau einen soliden Boden zu legen. Der wohl kräftigste und schärfste Bass des ganzen Festivals, eine sehr dienstbare Gitarre und zwei Schlagwerker im gleichen Herzschlag unterstützten eine selbstsichere Sängerin.
Wiyaala
Wer vor dem Konzert ein Ohr voll von Wiyaalas neuer, englischsprachiger CD gehört hatte, wurde überfahren. Auf der CD gibt’s in Englisch – mit einigen Brocken in Sissala – gesungene 08.15 – Old School – Hochglanz – R&B – Massenware. Auf der Bühne gibt’s Show, Tanz und Power. Ja, diese Frau will es wissen, sie setzt alles auf die Unterhaltungs-Karte und hat eine tolle Stimme. Das ist erfrischend, und begeistert das Publikum über weite Strecken.
Betsayda Machado
Die Venezuelanerin Betsayda Machado und ihre Parranda El Clavo boten das konzentrierteste Konzert an diesem verregneten Nachmittag. Ohne Firlefanz, aber mit viel Präsenz, mehrstimmigem Gesang und vertrackten, zündenden Rhythmen, packte Betsayda ihr Publikum und liess es nicht mehr los. Intensiv, authentisch und absolut überzeugend.
Dizzy Mandjeku & Alé Kuma
Die kolumbianisch-kongolesische Zusammenarbeit hatte mit der Produktion «De Palenque à Matongé» eine überzeugende Visitenkarte vorgelegt. Die Live-Darbietung konnte die hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen. Die Balance war verschoben, denn die beiden kongolesischen Gitarristen blieben unmotiviert. Die SängerInnen und Rhythmusleute retteten zwar das Konzert, aber es fehlten die jubelnden Gitarren, und damit ein wichtiger Bestandteil dieses Zusammenspiels.
Fazit
Afropfingsten bot mit neuen und unbekannteren Formationen viel für jene Besucher und Besucherinnen, die sich gerne auf musikalische Abenteuer einlassen. Das Publikum zeigte sich jedoch nicht wirklich begeisterungsfähig, d.h. wer da war liess sich gerne anstecken. Aber es kamen zu wenig in die Reithalle Winterthur. Auch Petrus half in diesem Jahr nur zur Hälfte mit.
Der Markt schien viele Leute anzuziehen, und von Donnerstag bis Samstag lachte auch die Sonne. Doch die Konzerte waren schlecht besucht. Schade, wirklich sehr schade. Ich wünsche mir – und vor allem den Veranstaltern – für die nächste Ausgabe ein zahlreicheres, neugierigeres, offen-ohrigeres Publikum.