Von Pop-Fado über Jazz mit Oud, Second Line Grooves und Trommeln der Native Americans bis zu Industrial Noise und Manouche-Jazz aus Serbien: Soll niemand sagen, das WOMEX-Programm sei nicht vielfältig.
Nicht zuviel hingucken, warten bis die Lady singt. Das war die Devise beim Auftritt von Beatrix Rosário. Nach dem ersten, visuellen Eindruck hätte man meinen können, die Sängerin habe sich in der Bühne geirrt, hätte vielleicht bei der Modeshow vis à vis auftreten sollen. Doch dann die ersten Töne: eine kräftige, sichere Fado-Stimme. Als dann auch die Band Fahrt aufgenommen hatte wurde deutlich, dass Beatrix Rosário Fado und Pop bestens kombiniert. Unterstützt von einer «klassischen» Rock-Band-Formation – zwei Gitarren, eine davon eine portugiesische Gitarre, E-Bass und ein Schlagzeug, das sich nicht zurückhält – mischte die Sängerin Tradition und Pop virtuos miteinander. Ein sehr frischer Auftritt für die manchmal etwas schwermütige, portugiesische Musik-Tradition.
Die Mischung von Jazz, Dance und äthiopischer Pentatonik von Kutu wollte nicht richtig zünden. Obwohl die Band um Geiger Théo Ceccaldi und Sängerin Hewan Gerewold die unterschiedlichen Musikstile gekonnt verknüpfen, wollte heute die Mischung nicht explodieren. Obschon für Orte wie den Pelican-Club, in dem sie spielten, gemacht, blieb die Stimmung etwas unterkühlt. Da hatte die Band an der Babel Music XP bewiesen, dass sie auch grössere Säle zum kochen bringen kann.
Ich war im Vorfeld sehr überzeugt, dass die syrisch-spanische Band Danûk das Publikum begeistern würde. Ihre Produktion «Morîk» (Rezension globalsounds) war für die Vorfreude verantwortlich. Aber ich musste ziemlich schnell den Kopf hängen lassen: die Band hatte schlicht zu wenig geübt. Die Songs zerfielen in Einzelteile, die Mischung zwischen E-Bass und den akustischen Instrumenten waren ganz aus der Balance geraten. Es fehlte der gemeinsame Atem. Wirklich schade, ich muss mich also mit der Studioarbeit trösten.
Gleich mehrere Formationen von Native Americans war im heutigen Konzertprogramm zu sehen und zu hören. Der Auftritt von Nimkii and the Niniis aus der kanadischen Region Ontario eröffnete den Reigen. Die rituellen Gesänge wurden immer wieder unterbrochen durch längere Ausführungen von Bandleader Minkii Osawamick. Er erzähle ausführlich, wie er aus der modernen kanadischen Gesellschaft heraus wieder eine Verknüpfung zu seinen indianischen Wurzeln gefunden hatte, wie die Gesänge angewandt werden, was die Trommelarbeit für Männer bedeutet, oder wie dazu getanzt wird. In diesem Mix wurde der Auftritt eher eine Vorlesung als ein Konzert – aber durchaus sympatisch.
Second Line-Grooves funktioniert weltweit. Die 79rs aus New Orleans bewiesen die These. Die Indians auf der Bühne waren die Anbindung an die Tradition des Mardi Gras, des Karnevals. Und die sichtbare historische Verbindung zwischen geflüchteten Sklaven aus den amerikanischen Staaten und ihre Zuflucht bei den Native Americans. Die Musik mit ihren typischen Rhythmen steckte das zahlreich erschienene Publikum denn auch sofort an. Die Gesänge der beiden Frontstimmen kippten immer wieder aus Melodien in rappende Botschaften. Die sehr dichte und starke Perkussions-Truppe hielt die Beine in Bewegung. Ich sagte es ja: Second Line funktioniert eben überall.
Der Trommlerin Vivi Pozzebón hätte ich gerne eine auftritts-sicherere Band zur Seite gestellt. Da kam selten ein gemeinsamer Groove von der Bühne. Auch bricht die Sängerin und Trommlerin zu oft ihre eigenen Stücke mit Rhythmuswechseln, die nicht wirklich zwingend wirken. Ich fühlte mich verloren zwischen den Ideen und den klingenden Umsetzungen.
Die beiden Musikerinnen von Haeparry, Minhee Park und Hyewon Choi haben die falsche Bühne erwischt. Denn die Athmosphäre im Pelican Club ist immer geschwätzig bis laut. Schaut man nur auf die (elektronischen) Instrumente auf der Bühne, könnte man einen Dance-Beat erwarten. Doch die beiden Südkoreanerinnen verweben leise Töne und Reminiszenzen. Sie schöpfen ihre Ideen aus der eigenen, konfuzianisch geprägten Geschichte und transportieren sie auf digitale Klangebenen. Um die Wirkung dieser Fusion, die zarte Stimme der Sängerin in einem mehrheitlich perkussiven Umfeld geniessen zu können, wäre ein ruhigerer Ort von Vorteil gewesen.
Etwas gar kurz gefasst könnte man sagen: Aleph, das ist Jazz mit Oud. In der Umsetzung ist es etwas komplexer, denn die fünf Musiker auf der Bühne sind alle Chefs ihrer Instrumente und haben Lust auf Soli. Was die Magie der Band ausmacht ist ihre absolute Verzahntheit. Viel Kommunikation über die Augen zwischen den Solisten, wenn sich Piano, Oud und Geige die Soli mitten in den Läufen zuwerfen. Bass und Schlagwerk halten sich nicht zurück. Es ist ein sehr dicht gewobenes Gewusel mit hoher Dynamik. Ja, die stilistische Trennung zwischen Jazz und World ist hauchdünn, bis nicht-existent.
Bei Akawui kommen verschiedenste Einflüsse zusammen, die man unter Native Americans zusammenfassen kann. Denn der heute im kanadischen Quebec wohnende Songwriter hat seine familiären Wurzeln in Chile bei den Mapuche Indios. Ähnlich weit gespannt ist auch sein Stilrepertoire: Cumbia, Anden-Flöten und Hip Hop kommen zusammen – und passen irgendwie auch zusammen. Ein Grossstädter mit Wurzelbindung. Und als visuelle Zugabe: ein Rock-Gitarrist im Schotten-Rock (sic!)
Widad Miama hat in vielen Regionen Marokkos nach Liedern gesucht, welche von Frauen über ihre Stellung in ihrer männerdominierten Gesellschaft geschrieben wurden – und noch heute gesungen werden. Wenn auch eher im Verborgenen. Lieder der Selbstermächtigung, Kommentare zum gesellschaftlichen Leben. Zusammen mit Khalil Epi gibt sie diesen Lieder neue, harte, kantige digitale und perkussive Kleider. Nix da von leidender Zurückgezogenheit, sondern eine revoltierende, eine laute Umsetzung von Anliegen, die sonst überhört oder totgeschwiegen werden.
Ich sage: Flöte aus den argentinischen Anden. Assoziation? Nein, das sind keine «El Condor Pasa» Klänge. Hier werden die Flötenmelodien zu quirligen Jazz-Improvisationen eines Trios, in dem jeder Musiker Bandstütze und Solist gleichermassen ist. Im Zentrum steht Rodrigo Sosa, dem man gerne beruhigend über den Rücken streichen möchte, denn er spielt nicht nur sein Instrument mit stupender Virtuosität, er spielt auch seinen Körper. Das zuckt und Luft-tanzt, er verzieht und streckt das Rückgrat, begleitet jede Note in jedem pfeilschnellen Lauf mit mindestens einer Körperbewegung. Seine Mitspieler stecken in Sachen Improvisation nicht zurück: Harmonie-Brüche und -Kaskaden auf dem Piano von Alejandro Falcon und Conga-Wirbeleien von Rodney Barreto ergänzen die wilden Ausflüge des Bandleaders. Soll ich mich wiederholen? Die Grenzen zwischen Jazz und World….
Ist das jetzt noch Musik, was das Trio Avalanche Kaito dem Publikum zumutet? Oder nur die Umsetzung des gemeinsamen Urgedankens, Musik machen zu wollen, wie man sie noch nie gehört hat? Die Musiker aus Burkina Faso und Belgien nennen ihre Musik Griot-Post-Punk-Noise. Noise steht bei diesem Auftritt im Vordergrund. Der Computer lieferte geschredderte digitale Soundschwaden, der Sänger Kaito nutzte das Mikrofon wie ein Megafon, Gitarrist Nico Gitto quälte seine Gitarre und Drummer Benjamin Chaval ist ein Haudrauf total. Noise, keine Pause, Attacke aufs Trommel- und Zwerchfell.
Manouche Jazz aus Slowenien gab’s mit Teo Collori. Er lässt mit seinen Mitstreitern die Erinnerungen an den legendären Hot Club de France mit Django Reinhart und Stéphane Grapelli neu aufleben. Wobei weniger der Gitarrist Collori im Zentrum steht, dafür die Solisten Matija Krecic und seine Geige, und Klarinettist Matej Kuzel. Die beiden geniessen ihre melodischen Freiheiten sehr. Handwerklich gesehen gibt’s an diesem Quintett nichts auszusetzen. Doch die Frage sei erlaubt: Hätte nicht auch das Klangkonzept eine Auffrischung verdient? Es geht doch hier auch um Jazz… auch wenn Django Reinhardt im Hintergrund mitwippt.
Jinj, das sind Sängerin Sevana Tchakerian und Gitarrist Gor Tadevoysan. Ihre Band hat den Mix aus armenischem Folk-Rock und HipHop noch verfeinert. Ihr Auftritt am Babel Music XP im Frühling dieses Jahres hatte mich schon angesprochen. Seither hat das Quartett auf zwei Seiten zugelegt: die Songs sind transparenter geworden, der Gesamtauftritt dynamischer. Es ist immer noch viel Rock in den Songs, aber die Lautstärke soll nicht die Botschaft abwerten.
Eine davon war sehr klar. Sevana kündigte einen Song an, den sie lieber nicht mehr im Repertoire haben möchte, und der trotzdem hier Platz haben musste. Geschrieben vor zwei Jahren nach dem letzten Krieg zwischen Aserbajdschan und der armenischen Enklave Berg Karabach. Konfrontiert mit der Tatsache, dass durch den erneuten Krieg und die folgende ethnische Säuberung der Gegend durch Aserbaidschan Hunderttausende ihre Jahrhunderte alte Heimat verlassen mussten, rappt Sevana eine harte Hip Hop Anklage gegen all jene, die solches Leid verursachen, und jene, die es nicht verhindern.
Heimspiel für den Produzenten Baiuca und seine Truppe zum Abschluss des Konzertabends. Der Galizier lebt heute zwar in Madrid, aber sein Herz wohnt immer noch in der Region. Die beiden Sängerinnen Andrea Montero Ramos und ihre Schwester Alejandra übernehmen gerne die Rolle der mytischen Hexen, die mit ihren Gesängen sowohl heilen wie Unheil bringen konnten. Die Sounds und Beats aus den Rechnern werden durch die Trommeln von Xosé Lois Romero Cajigal noch verstärkt. Draussen vor dem Konzert-Zelt im Hafen von A Coruña lassen sich einige Stadtbewohner nicht durch den wieder einsetzenden Nieselregen davon abhalten, auszuharren und mitzusingen – textsicher! – um noch etwas Schwung auf den Heimweg mitzunehmen.
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